Empfehlungen für Ärztinnen und Ärzte in der Grundversorgung bei einer Post-COVID-19-Erkrankung

Die hier vorgestellten Behandlungsempfehlungen für Post-Covid-19-Erkrankungen für Ärztinnen und Ärzte in der Grundversorgung wurden vom Bundesamt für Gesundheit in Auftrag gegeben und von der FMH unterstützt. Die Empfehlungen wurden von der Abteilung für Allgemeinmedizin am Universitätsspital Genf (Dr. Mayssam Nehme, Prof. Dr. Idris Guessous) und der Abteilung für Neurologie am Inselspital (Dr. Lara Diem, Prof. Dr. Claudio Bassetti) geleitet und mit Hilfe von Expertinnen und Patienten landesweit erarbeitet.

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Einleitung und allgemeiner Überblick

Während der Covid-19-Pandemie wurden in der Schweiz eine Reihe von Post-Covid-19 Sprechstunden, Forschungsteams, Online-Informationsplattformen und Initiativen von Patientinnen und Patienten mit anhaltenden Beschwerden nach einer Sars-CoV-2-Infektion lanciert. Ziel der vorliegenden Arbeit, die vom Bundesamt für Gesundheit in Auftrag gegeben und von der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) unterstützt wurde, war die Ausarbeitung von Empfehlungen für Hausärztinnen und Hausärzte zum Thema Post-Covid-19-Erkrankung. Diese Arbeit stützt sich auf ein Dokument, das von den Genfer Universitätsspitälern zum Thema Post-Covid-19-Erkrankung erstellt wurde (18). Geleitet wurden die Arbeiten durch die Abteilung Grundversorgung der Genfer Universitätsspitäler und die Abteilung für Neurologie des Inselspitals. An der Ausarbeitung dieser Empfehlungen beteiligt waren Fachpersonen sowie Patientinnen und Patienten aus der ganzen Schweiz. Die Empfehlungen wurden anschliessend von zahlreichen nationalen medizinischen Fachgesellschaften validiert.

Verwendung dieses Dokuments

Dieses Dokument soll Hausärztinnen und Hausärzten als Leitfaden für die Diagnose und Behandlung der Post-Covid-19-Erkrankung dienen. Es bietet einen allgemeinen Überblick über den empfohlenen Behandlungspfad und gibt Hinweise dazu, wann eine Überweisung an eine spezialisierte Sprechstunde oder eine Rehabilitation angezeigt ist. Die symptombasierte Zusammenfassung kann als Raster/Checkliste für die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Post-Covid-19-Erkrankung genutzt werden. Sie gibt einen kurzen Überblick über das klinische Vorgehen einschliesslich Diagnose, Fragenbögen Untersuchungen und Behandlungsmöglichkeiten. Ausführlichere Erläuterungen zu den einzelnen Symptomen folgen im Abschnitt «Symptome im Detail».

Da es sich bei der Post-Covid-19-Erkrankung um eine systemische Erkrankung handelt, treten oft mehrere Symptome gleichzeitig auf. Der symptombasierte Ansatz soll es ermöglichen, schnell und effizient zu den relevanten Informationen zu kommen. Es ist jedoch ratsam, sich einen Überblick über das gesamte Dokument zu verschaffen, da dies wesentlich dazu beiträgt, die einzelnen symptombezogenen Empfehlungen zu verstehen und richtig anzuwenden.

Verfasser und Verbandszugehörigkeit
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Mitwirkende Unternehmen und Institutionen
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Behandlungspfad
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Zusammenfassung
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Kontext

Definition

Ein erheblicher Anteil der mit SARS-CoV-2 infizierten Patientinnen und Patienten weist Symptome auf, die mehrere Wochen (19) oder sogar Jahre nach der Infektion anhalten (20). Die Patientinnen und Patienten können unter anderem an anhaltender Erschöpfung, Belastungsintoleranz, kognitiven Beeinträchtigungen, Atemnot, Schmerzen, Herz- und Verdauungsstörungen oder psychiatrischen Beschwerden leiden. Die Symptome variieren in ihrer Ausprägung und Intensität und können sich auch im Laufe der Zeit verändern. Anhaltende Symptome nach einer SARS-CoV-2-Infektion werden als Post-Covid-19-Erkrankung (21), Long Covid oder englisch auch Post-Acute Sequelae of SARS-CoV-2 (22) (PASC) bezeichnet (21).

Die Diagnose der Post-Covid-19-Erkrankung stützt sich auf die Definition der WHO. Der Nachweis einer SARS-CoV-2-Infektion erfolgt mittels reverser Transkriptase-Polymerase-Kettenreaktion (RT-PCR), mittels Antigentest während der akuten Phase oder mittels serologischen Tests (Anti-N-Antikörper, die eine natürliche Immunität belegen). Zelluläre Tests werden in diesem Stadium nicht empfohlen, da diese Tests nicht standardisiert sind und das Risiko einer Kreuz-Reaktivität besteht.

Eine wahrscheinliche SARS-CoV-2-Infektion basiert auf der klinischen Untersuchung und dem zeitlichen Verlauf der Krankheit; es ist jedoch wichtig zu beachten, dass andere Krankheiten mit ähnlichen Symptomen verbunden sein können.

Bislang wurden zwei wichtige Subtypen von postakuten Folgeschäden von SARS-CoV-2-Infektionen identifiziert:

  • Personen mit postviralen Symptomen wie Erschöpfung, Belastungsintoleranz, kognitiven Beeinträchtigungen und anderen Symptomen. Diese Personen werden meist ambulant behandelt und müssen nicht in ein Spital eingewiesen werden; die Symptome haben jedoch erhebliche Auswirkungen auf ihre Leistungsfähigkeit und Lebensqualität.
  • Personen, die ins Spital eingewiesen oder auf der Intensivstation behandelt werden und die Endorganschäden und spezifische postakute Folgeerkrankungen einer SARS-CoV-2-Infektion zeigen.

Dieses Dokument befasst sich mit der ersten Untergruppe von Personen und geht nicht auf die Folgeschäden nach einem Spitalaufenthalt oder nach der Behandlung auf der Intensivstation ein. Die Schweizerische Gesellschaft für Pneumologie hat für Patientinnen und Patienten mit möglichen Lungenfolgeschäden (nach dem Spitalaufenthalt) spezifische Richtlinien erarbeitet (16). Patientinnen und Patienten, die in einer Intensivstation (ICU) behandelt wurden, sollten nach der ICU im Rahmen einer interdisziplinären Nachbehandlung betreut werden.

Die zugrundeliegenden Mechanismen der Post-Covid-19-Erkrankung sind bisher nicht geklärt. Einige Studien deuten auf eine mögliche Fehlfunktion des Immunsystems und eine anhaltende Entzündung (24, 25), eine endotheliale Dysfunktion, die zu Mikrothrombosen (26) führt, oder die Persistenz von Viruspartikeln (27) hin. Diese Mechanismen sind zwar noch nicht schlüssig bewiesen, könnten aber alle Systeme des Körpers, einschliesslich des autonomen Nervensystems, beeinträchtigen (28,29), was möglicherweise zu dem breiten Spektrum an Symptomen der Post-Covid-19-Erkrankung führt. Bei einem Teil der Patientinnen und Patienten mit Post-Covid-19-Erkrankung werden die Symptome chronisch und haben erhebliche Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit und die Lebensqualität, womit Ähnlichkeiten zwischen der Post-Covid-19-Erkrankung und der myalgischen Enzephalomyelitis/dem chronischen Erschöpfungssyndrom (ME/CFS) bestehen. In diesen Fällen könnten die vorgeschlagenen Behandlungsansätze für die Post-Covid-19-Erkrankung Patientinnen und Patienten mit ME/CFS zugutekommen, und die Vertiefung der Kenntnisse über die Post-Covid-19-Erkrankung kann zu einem besseren Verständnis von ME/CFS beitragen.

Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) (23)
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Medizinische Erstuntersuchung

Bei einem Verdacht auf eine Post-Covid-19-Erkrankung sollten die akuten und post-akuten Phasen der Krankheit sowie die verschiedenen Ursachen für die Symptome und ihre Auswirkungen berücksichtigt werden. Die folgenden allgemeinen Leitlinien können verwendet werden:

  • Beurteilung der akuten Phase der Infektion (die ersten 10 Tage nach Auftreten der Symptome) mit Ermittlung der Anzeichen und Symptome zu diesem Zeitpunkt und mit Berücksichtigung der verschiedenen bereits durchgeführten Tests (PCR, Serologie, Bildgebung, Elektrokardiogramm, Labortests), der verschiedenen Behandlungen (Paracetamol, Ibuprofen, Vitamine, Kortikosteroide, monoklonale Antikörper, Inhalationssprays und integrative Medizin usw.) sowie der verschiedenen Untersuchungen oder Nachuntersuchungen. Ein interdisziplinärer Behandlungsansatz ist für Patientinnen und Patienten, die nach einer Covid-19-Erkrankung mehrere persistierende Beschwerden aufweisen, unerlässlich.
  • Beurteilung der postakuten Phase (fluktuierende Symptome) sowie der aktuellen Phase, Überprüfung aller Symptome, die möglicherweise mit der Post-Covid-19-Erkrankung in Zusammenhang stehen.
  • Beurteilung anderer Gründe oder mehrerer Faktoren für die Symptome durch Überprüfung der gesamten Anamnese (persönlich und familiär), der Behandlungsmethoden, des Lebensstils und der Wahrnehmung der Krankheit durch den Patienten bzw. die Patientin.
  • Beurteilung der beeinflussenden Faktoren und Risikofaktoren: Erhöhtes Risiko einer Post-Covid-19-Erkrankung
    • Weibliches Geschlecht (30, 31)
    • Anzahl der Symptome in der akuten Phase (32)
    • Vorbestehende Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck (33), Diabetes (34), Asthma (35), Übergewicht (35, 36) und Fettstoffwechselstörungen (36). Bislang ist nicht klar, ob diese vorbestehenden Begleiterkrankungen nur bei Patientinnen oder Patienten, die eine schwere akute Phase der Erkrankung durchgemacht haben, gemeinsam mit einer Post-Covid-19-Erkrankung auftreten, da in den Studien grosse Datenvolumen ausgewertet wurden, bei denen nicht zwischen stationären und ambulanten Patientinnen und Patienten unterschieden wurde.
    • Bei einer Depression besteht ein erhöhtes Risiko, dass sich chronische Symptome entwickeln (20).
  • Beurteilung der beeinflussenden Faktoren und Risikofaktoren: Reduziertes Risiko einer Post-Covid-19-Erkrankung
    • Impfung (37)
    • Omicron-Varianten (38, 39)
  • Beurteilung der körperlichen Aktivität, der funktionellen Leistungsfähigkeit und der Lebensqualität im Vergleich zur Zeit vor der Infektion in den sozialen, familiären, persönlichen und beruflichen Bereichen des Lebens.

Symptome im Detail

Die empfohlene Diagnostik und die Behandlung in diesem Dokument basieren auf einem symptombasierten Ansatz. Post-Covid-19-Beschwerden können jedoch Ausdruck eines gestörten autonomen Immunsystems sein (29, 40), weshalb ein ganzheitlicher Ansatz für Patientinnen und Patienten mit Post-Covid-19-Beschwerden empfohlen wird.

Symptom-basierter Ansatz: Zusammenfassung
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Erschöpfung und Belastungsintoleranz
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Kognitive Störungen
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Kopfschmerzen
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Schlafstörungen
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Psychische Störungen
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Somatoforme Störung
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Schmerzen und Parästhesien
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Schwindel
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Tinnitus
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Geschmacks- oder Geruchsverlust
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Dyspnoe
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Hypoxämie
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Husten und Verlust/Veränderung der Stimme
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Dermatologische Probleme
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Augenprobleme
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Magen-, Darmstörungen
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Fieber
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SARS-CoV-2-Impfung

Die Frage nach der Rolle der SARS-CoV-2-Impfung in Bezug auf das Risiko einer Post-Covid-19-Erkrankung und Post-Covid-19-Symptomen wird in der klinischen Praxis sehr häufig gestellt. Bislang ist die Beweislage noch begrenzt. Gemäss aktuelle Datenlage kann man folgende Fragen so beantwortet werden:

  • Kann die Impfung bei Post-Covid-19 Erkrankung als Therapie eingesetzt werden? Oder verschlimmert sie eher die Symptome? Es gibt keine Beweise für eine Verschlechterung der Post-Covid-19-Erkrankung durch die Impfung, und auch keine spezifischen Kontraindikationen für die Impfung bei Patientinnen und Patienten mit einer Post-Covid-19-Erkrankung.
  • Wirkt die Impfung als Schutz vor der Post-Covid-19 Erkrankung, wenn man trotz Impfung Covid bekommt? Angesichts der präventiven Wirkung in Bezug auf eine erneute Infektion und der Verminderung des Risikos einer Post-Covid-19-Erkrankung nach erfolgter SARS-Cov-2 Infektion ist es auch sehr wichtig, Patientinnen und Patienten für die SARS-CoV-2-Impfung zu sensibilisieren.

Post-Covid-19-Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen

Jugendliche – und in geringerem Masse auch jüngere Kinder – können ebenfalls von der Post-Covid-19-Erkrankung betroffen sein (50). Auch wenn diese Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen weniger häufig auftritt als bei Erwachsenen, ist es äusserst wichtig, das Bewusstsein für die pädiatrische Post-Covid-19-Erkrankung zu schärfen. Die gemeldete Prävalenz bei Kindern variiert von Studie zu Studie erheblich und reicht von 4 % bis 66 % (51). Die Variabilität ist auf die Heterogenität des Studiendesigns in Bezug auf das Alter der Patientinnen und Patienten, den Schweregrad der akuten Covid-19-Erkrankung, die Ergebnismessungen, den Kontext (stationär oder ambulant) und die Datenerfassungsmethoden zurückzuführen. In Studien, die SARS-CoV-2-negative Kontrollen einschlossen, lag die gemeldete Prävalenz von Symptomen, die mit einer Post-Covid-19-Erkrankung vereinbar sind, in den meisten Studien zwischen 2 % und 9 %, verglichen mit 1 % bis 10 % bei den Kontrollgruppen (50, 51). Risikofaktoren für eine pädiatrische Post-Covid-19-Erkrankung sind weibliches Geschlecht, Teenager (eher als jüngere Kinder), chronische Komorbiditäten (52) und ein niedrigerer sozioökonomischer Status (50).

Wie bei Erwachsenen sind die häufigsten Symptome bei einer pädiatrischen Post-Covid-19-Erkrankung Erschöpfung, Kopfschmerzen, kognitive Beeinträchtigung, Myalgie/Arthralgie, Atemnot und Anosmie (52). Symptome am Abdomen wie Bauchschmerzen – und in geringerem Masse Verstopfung, Durchfall, Übelkeit und Erbrechen – sind bei Kindern ebenfalls häufig (50).

Die grösste Sorge für Kinder und Jugendliche mit Post-Covid-19-Erkrankung sind die Auswirkungen auf die Ausbildung und das Risiko eines sozialen Rückzugs. Die rechtzeitige Erkennung von Symptomen wie Schulverweigerung oder -versagen, soziale Isolation und Ängste ist sehr wichtig, um die Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder/Jugendlichen zu minimieren. Daher ist ein globaler und interdisziplinärer Behandlungsansatz in enger Zusammenarbeit mit dem Bildungsnetzwerk erforderlich.

Die Behandlung pädiatrischer Post-Covid-19-Erkrankungen kann von der Behandlung erwachsener Post-Covid-19-Erkrankungen abgeleitet werden, wobei die folgenden Besonderheiten zu berücksichtigen sind:

  • Schulbesuch und Leistung sind bei pädiatrischer Post-Covid-19-Erkrankung häufig beeinträchtigt. Daher ist ein interdisziplinärer Ansatz in Zusammenarbeit mit der Bildungseinrichtung (Schule, Arbeitsplatz) von grösster Bedeutung, um schrittweise das am besten geeignete und sicherste Programm zur Aufrechterhaltung und/oder Wiedereingliederung in das Bildungsumfeld umzusetzen. Die Festlegung von Zielen und Wegmarken, die die Leistungs- und Lernfähigkeit der Patientinnen und Patienten berücksichtigen (abgestimmt auf die Symptome: Erschöpfung, Belastungsintoleranz, kognitive Beeinträchtigung), wird für die Wiedereingliederung in das schulische Umfeld und in das soziale Netz empfohlen. Der gleiche Ansatz gilt für Sport und körperliche Betätigung. In Bezug auf körperliche Aktivität sind ein angemessenes Tempo und jeweils abgestimmte physiotherapeutische Programme die Eckpfeiler bei der Behandlung von pädiatrischen Post-Covid-19-Erkrankungen.
  • Wie aus kontrollierten Prävalenzstudien hervorgeht, können angesichts der geringen Spezifität der allgemein berichteten Symptome nicht alle Symptome auf eine SARS-CoV-2-Infektion zurückgeführt werden. Andere Gründe wie die psychologischen Auswirkungen der Pandemie sollten in Betracht gezogen werden, insbesondere bei Teenagern, bei denen physiologische Verhaltens- und hormonelle Veränderungen ebenfalls zu einigen der gemeldeten Symptome beitragen können. Alternative Diagnosen müssen ausgeschlossen werden, wie z. B. Stimmungsschwankungen oder Suchtverhalten (z. B. Drogenmissbrauch, Abhängigkeit von sozialen Medien). Diese Erkrankungen können bereits vorher vorhanden gewesen sein oder durch die SARS-CoV-2-Infektion aufgedeckt werden. Eine grosse Herausforderung besteht darin, leichte oder mittelschwere Post-Covid-19-Erkrankungen von entwicklungsbedingten Stimmungs- und Energieschwankungen der (frühen) Adoleszenz zu unterscheiden. Eine ausführliche Anamnese, die mit den Eckpfeilern in der Entwicklung von Geschwistern und Freunden verglichen wird, kann Ärztinnen und Ärzten bei der Entscheidungsfindung helfen, ebenso wie eine enge Nachbetreuung. Belastungsintoleranz kann ein Unterscheidungsmerkmal sein und helfen, den Zustand nach der Covid-19-Erkrankung im Vergleich zu anderen Arten von Erschöpfung oder Symptomen zu beurteilen.
  • Die meisten der oben genannten Skalen für das Screening und die Beurteilung bei Erwachsenen sind in der Pädiatrie nicht validiert worden. Ihre Verwendung sollte im Ermessen der Ärtzin oder des Arztes liegen. Darüber hinaus kann die Verwendung pädiatrischer Fragebögen wie Adolescent Depression Rating Scale (ADRS) (53) und des Pediatric Quality of Life Inventory (PedsQL) (54) genauere pädiatrische Erkenntnisse erbringen (55).

Behandlung

Bislang gibt es keine ursächliche pharmakologische Behandlung für anhaltende Symptome nach einer SARS-CoV-2-Infektion. Derzeit laufen mehrere Studien, in denen potenzielle Behandlungen für die Post-Covid-19-Erkrankung untersucht werden, darunter monoklonale Antikörper (56), antivirale Therapien (57), Antihistaminika (58), Antikoagulation (58) und andere Therapien, einschliesslich pharmakologischer und nicht-pharmakologischer Ansätze (59, 60).

Es sollte ein ganzheitlicher Ansatz für die Diagnose und Behandlung in Betracht gezogen werden. Eine interdisziplinäre Behandlung und Nachbehandlung wird empfohlen. In der Regel kann eine gute Einteilung der täglichen Energiereserven die Verschlimmerung der meisten Symptome verringern, sobald andere Ursachen ausgeschlossen wurden.

Es wird empfohlen, ein Tagebuch der täglichen Energiereserven (Anhang 2) zu führen, um Veränderungen der Symptome gemäss der 4P-Regel zu überwachen: Plan, Pace, Prioritize, Position (Planen, Tempo, Prioritäten setzen und Positionieren). Der Tagesablauf wird dann so angepasst, dass die Aktivitäten, die der Betroffene als wesentlich oder prioritär erachtet, Vorrang haben, wobei die tägliche Energiereserve berücksichtigt wird. Das Tagebuch kann für die Situationsbeurteilung und die Einteilung der Kräfte verwendet werden.

Für die Umsetzung der 4P in Bezug auf die Anforderungen des täglichen Lebens, soziale Rollen, Aufgaben und Aktivitäten wird eine Ergotherapie empfohlen.

Tempo: Die täglichen Aktivitäten müssen an das individuelle Energieniveau angepasst werden, um eine Belastungsintoleranz zu vermeiden, die eine längere Erholungsphase erfordern würde. Es geht also darum das "Tempo" oder die Wiederaufnahme der Aktivitäten zu dosieren und ein Gleichgewicht zwischen Aktivitäts- und Ruhephasen herzustellen.

Eine abgestufte Bewegungstherapie oder kognitive Verhaltenstherapien werden bei einer Post-Covid-19-Erkrankung nicht empfohlen.

Ein integrativer medizinischer Ansatz mit Methoden wie Hypnose, Meditation, Akupunktur oder Vitaminen wird bei bestimmten Symptomen empfohlen (z. B. Vitamin B2 bei Kopfschmerzen). Psychologische Unterstützung ist wichtig bei Symptomen wie Angst, posttraumatischer Belastungsstörung und Depression.

Experimentelle Medikamente oder Therapien werden nicht empfohlen und bedürfen weiterer Untersuchungen, bevor sie von Hausärztinnen und Hausärzten vorgeschlagen werden.

Die Hausärztin oder der Hausarzt bleibt die erste Anlaufstelle für alle Patientinnen und Patienten.

Selbstbehandlung mit Online-Ressourcen wie https://www.rafael-postcovid.ch, https://www.altea-network.com und https://www.long-covid-info.ch/ sind Online-Tools, die Ärztinnen und Ärzten sowie Patientinnen und Patienten und deren Umfeld zur Verfügung stehen.

Die Überweisung an eine spezialisierte, interdisziplinäre Sprechstunde wird empfohlen, wenn sich die Symptome nach 3-6 Monaten Nachbehandlung nicht gebessert haben oder wenn die Symptome stark behindernd sind und zu Funktionseinschränkungen und einer Verschlechterung der Lebensqualität führen. 

Rehabilitation
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Ergotherapie
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Neuropsychologie
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Physiotherapie
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Setting
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Pflegedienst zur häuslichen Versorgung
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Funktionelle Leistungsfähigkeit

Post-Covid-19-Symptome haben erhebliche Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit (sozial, persönlich, beruflich). Eine kürzlich in Genf (Schweiz) durchgeführte Studie zeigte, dass eine SARS-CoV-2-Infektion das Risiko verdoppelt, ein chronisches Fatigue-Syndrom zu entwickeln (68). Insgesamt erfüllten 1,1 % der Personen nach einer SARS-CoV-2-Infektion die diagnostischen Kriterien für ein chronisches Fatigue-Syndrom (68), und 8,2% zeigten Anzeichen einer Belastungsintoleranz. Bei Personen mit chronischem Erschöpfungssyndrom oder Belastungsintoleranz traten langfristige Folgen, chronische funktionelle Beeinträchtigungen und eine schlechtere Lebensqualität auf (20, 68). Die funktionellen Beeinträchtigungen führten zu erhöhten Absenzen und einer geringeren Produktivität (20, 68). In einem kürzlich erschienenen Bericht werden die volkswirtschaftlichen Verluste, die in den USA alleine auf die durch die Post-Covid-19 Erkrankung verursachten Lohnausfälle zurückzuführen sind, auf  170 Milliarden Dollar geschätzt (69). Für die Schweiz liegen bisher keine spezifischen Schätzungen vor.

Ärztinnen und Ärzte sollten Patientinnen und Patienten bitten, ihre Leistungsfähigkeit vor der Infektion mit der Leistungsfähigkeit nach der Infektion zu vergleichen, und zwar in allen Lebensbereichen. Patientinnen und Patienten können nach den Aktivitäten eines typischen Tages vor der Infektion im Vergleich zu ihrem aktuellen Zustand befragt werden. Die Sheehan Disability Scale (70) ist ein nützliches Instrument zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit und der verlorenen Tage oder der verminderten Produktivität. Die Bell's Chronic Fatigue and Immune Dysfunction Syndrome Scale (CFIDS) kann ebenfalls zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit herangezogen werden. Sie besteht aus 11 Aussagen, die den Grad der Symptome auf einer Skala von 0 bis 100 beschreiben (71). Betroffene wählen die Aussage aus, die ihre Symptome am besten beschreibt. Ein Vergleich mit der Leistungsfähigkeit und Lebensqualität vor der Infektion kann helfen, die aktuellen Symptome und ihre Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit und Lebensqualität zu beurteilen.

Rückkehr zur Arbeit

Wie können Betroffene nach einer Post-Covid-19 Erkrankung an ihren Arbeitsplatz zurückkehren?

Post-Covid-19-Symptome können wochen- oder jahrelang anhalten und die Leistungsfähigkeit sowie die Arbeits- oder Studienfähigkeit beeinträchtigen. Bevor Betroffene eine Rückkehr zur Arbeit/Aktivität planen, sollten sie dies mit ihrer Hausärztin oder ihrem Hausarzt besprechen und sich vergewissern, dass sie medizinisch in der Lage sind, die Aktivität (Arbeit oder andere) wieder aufzunehmen. Die Rückkehr an den Arbeitsplatz kann schwierig sein und bei Personen, die längere Zeit krankgeschrieben waren oder bei denen noch Symptome auftreten, zu Befürchtungen und Ängsten führen. Dies sollte sorgfältig mit der Patientin oder dem Patienten und den Arbeitgebenden besprochen werden. Das Bewusstsein für die Erkrankung am Arbeitsplatz der betroffenen Person kann so geschärft werden und der für beide Seiten am besten geeigneten Plan für die Rückkehr an den Arbeitsplatz ausgearbeitet werden (72, 73). Regelmässige Besprechungen mit Arbeitgebenden und Nachuntersuchungen durch die Hausärztin oder den Hausarzt werden empfohlen.

Personen, die an einer Post-Covid-19-Erkrankung leiden, weisen in der Regel eine schwere Erschöpfung auf. Diese äussert sich in Form von Asthenie, Belastungsintoleranz (verschlimmert durch körperliche oder intellektuelle Anstrengung oder erhöhten Stress), orthostatische Intoleranz, kognitive Beeinträchtigung mit der Schwierigkeit, stundenlang Multitasking zu betreiben oder sich zu konzentrieren, oder Kurzatmigkeit/Brustschmerzen oder Herzklopfen. Dies kann die Arbeit sowie intellektuelle und körperliche Aktivitäten einschränken. Die Betroffenen wachen oft müde auf und verbringen den grössten Teil des Tages auf einem minimalen Energieniveau. Bei Überanstrengung kann es zu posttraumatischem Unwohlsein kommen und die Betroffenen benötigen mehrere Tage, um sich zu erholen.

Patientinnen und Patienten mit einer Post-Covid-19-Erkrankung können in der Regel eine Tageszeit angeben, in der sie mehr Energie haben als in der übrigen Zeit des Tages. Es ist wichtig, dass Arbeitnehmende und Arbeitgebende in der Planung bzw. Reduktion der Arbeitsbelastung diese Tageszeit nutzen. Auch die Post-Covid-19-Symptome können schwanken, und idealerweise können Arbeitgebende die Arbeitsbelastung an Tagen, an denen Betroffene einen Rückfall erleiden oder erhebliche Symptome wie Belastungsintoleranz zeigen, jeweils anpassen. Betroffene sollten idealerweise ihre Arbeitsbelastung an Tagen mit vermindertem Energieniveau reduzieren oder ganz aufgeben (angepasste Reaktion), um Belastungsintoleranz so weit wie möglich zu vermeiden. Die Symptome bessern sich in der Regel mit der Zeit (wenn auch nur langsam), wenn das Umfeld geeignete Bedingungen für eine bessere Erholung bietet. Ein vertrauensvoller Dialog zwischen Hausärztin oder Hausarzt und Betroffenen ist unerlässlich, um die Leistungsfähigkeit bestmöglich zu ermitteln. Ein Energietagebuch (Anhang 2) ist ein empfehlenswertes Hilfsmittel, um das Energieniveau zu verfolgen, Verbesserungen zu überprüfen und festzustellen, welche Aktivitäten einen höheren Energieaufwand erfordern und wie vorausgeplant werden kann.

Arbeitsplatz und Arbeitsalltag

Eine schrittweise Rückkehr an den Arbeitsplatz wird empfohlen, nachdem realistische kurzfristige Ziele zwischen Arbeitgebenden und Betroffenen vereinbart wurden. Eine schrittweise Rückkehr an den Arbeitsplatz sollte zunächst mit einem reduzierten Pensum erfolgen, wobei reduzierte Tage oder eine Arbeit für nur einige Stunden pro Tag zu bevorzugen sind - idealerweise abgestimmt auf die Tageszeit, in der sich die Person am energiegeladensten fühlt. Die schrittweise Wiederaufnahme der Arbeit kann dadurch unterstützt werden, dass zunächst nur eine Aufgabe erledigt wird, während andere Aufgaben an Kolleginnen oder Kollegen  delegiert werden (72, 73). Geplante Erholungspausen können dazu beitragen, das Energieniveau den ganzen Tag über aufrechtzuerhalten und den Arbeitstag zu strukturieren. Eine Mischung aus Homeoffice und Arbeit vor Ort kann dazu beitragen, den Energieaufwand für die An- und Abreise zur Arbeit zu verringern, und gleichzeitig der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter helfen, sich wieder in das Team zu integrieren. Die Regelungen für die Rückkehr an den Arbeitsplatz (Arbeitszeiten, Lohn) sollten es Betroffenen ermöglichen, medizinische Termine wahrzunehmen. Die Rückkehr an den Arbeitsplatz sollte die Verbesserung des Zustands nach der Covid-19-Erkrankung nicht verlangsamen. Wenn eine Patientin oder ein Patient nach einer Anstrengung Unwohlsein verspürt oder die Besserung stagniert, ist es nicht empfehlenswert, die Arbeitsstunden zu erhöhen. Die Arbeitsumgebung sollte ergonomisch angepasst werden, um das Energieniveau zu schonen (starke Licht- oder Schallreize sollten vermieden werden, ergonomische Gestaltung des Arbeitsplatzes: Höheneinstellung, Rückenstütze usw.). Manchmal können Hilfsmittel wie Spracherkennungsprogramme/Software dazu beitragen, das Energieniveau zu halten (z. B. Diktat) (72, 73).

Langfristige Arbeitsunfähigkeit

Die Symptome bessern sich in der Regel im Laufe der Zeit, wobei der Genesungsprozess oft langsam ist. Leider erholt sich ein kleiner Prozentsatz der Patientinnen und Patienten nach einer Covid-19-Erkrankung nicht ausreichend, um an den Arbeitsplatz zurückzukehren (68).

Personen, die länger als sechs Monate in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtigt sind, sollten zusätzlich an die Invaliditätsversicherung sowie an spezialisierte, interdisziplinäre Sprechstunde verwiesen werden, um abzuklären, ob eine Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit möglich ist oder ob langfristige Erwerbsunfähigkeitsleistungen erforderlich sind.

Die Versicherungsmedizin Schweiz hat Empfehlungen (74) und einen Online-Fragebogen (75) für Ärztinnen und Ärzte erstellt, um damit Betroffene für Versicherungszwecke zu beurteilen.

In diesen Fällen ist die Koordination zwischen Hausärztin oder Hausarzt, Betroffenen, Arbeitgebenden und der Invalidenversicherung wichtig.

Zusätzliche Informationen

Ressourcen
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Literaturverzeichnis
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Anhang
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Autorinnen und Autoren
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