In dieser neuen Blog-Kategorie "Aus unserer Community" wollen wir Behandlungen ansprechen, die von Long COVID Betroffenen und Gesundheitsfachpersonen kontrovers diskutiert werden. Im Altea-Forum, in Stories und in Diskussionen mit Betroffenen, haben wir eine Reihe von Behandlungsvorschlägen gesehen, die (noch) nicht offiziell empfohlen werden. Um die Sicherheit und Wirksamkeit dieser Behandlungen beurteilen zu können, schauen wir uns die Wissenschaft dahinter an. Wir versuchen einen Überblick zu verschaffen, welche Art von klinischer Evidenz verfügbar ist, ob die vorhandenen Daten zuverlässig sind und welche Risiken mit diesen Behandlungen verbunden sein könnten. Heute beginnen wir mit der Ganglion Stellatum-Blockade zur Linderung von Long COVID-Symptomen.
Was ist das Ganglion Stellatum?
Das Ganglion Stellatum ist eine Ansammlung von Nerven, die Teil des sympathischen Nervensystems ist. Der Sympathikus spielt eine entscheidende Rolle bei der Regulierung unbewusster Prozesse, z. B. der Herzfrequenz, der Atemfrequenz oder der Verdauung. Er vermittelt auch die physiologischen Veränderungen bei der so genannten «Fight or Flight» Reaktion (deutsch: "Kampf oder Flucht") in Stresssituationen.
Bei 80 % der Menschen sind zwei Nervenbündel im oberen Brustkorb (das inferiore zervikale und das erste thorakale sympathische Ganglion) zu einem einzigen verschmolzen, dem Ganglion Stellatum. Es gibt jeweils ein Ganglion Stellatum auf der linken und der rechten Seite. Der Name bezieht sich auf sein sternförmiges Aussehen. Die Form und Lage des Ganglions sind in der nachstehenden Abbildung dargestellt. Das Ganglion Stellatum sendet Nervensignale an den Kopf, den Hals, die Arme und Teile des Thorax (oberer Brustkorb).
Form und Lage des Ganglion Stellatum (Quelle: https://www.advancedheadachecenter.com/stellate-ganglion-block).
Wie funktioniert das Verfahren?
Das genaue Verfahren wird in diesem Video des BMJ-Journal «Regional Anesthesiology and Acute Pain Medicine» beschrieben. Kurz gesagt, wird ein Anästhetikum auf Höhe des C6-Wirbels eingeführt, der oberhalb des Ganglion Stellatum liegt. Das Anästhetikum wird oberhalb des Ganglions injiziert, um das Risiko zu verringern, Nerven und Blutgefässe in dessen Nähe zu verletzen. Die Injektion wird in der Regel per Ultraschall begleitet, wie in der untenstehenden Abbildung dargestellt. Etwa 5-10 ml des Anästhetikums werden oberhalb des Ganglion Stellatum injiziert, so dass sich das Anästhetikum in Richtung seines Ziels ausbreiten kann.
In den meisten Studien wurde die Blockade im rechtsseitigen Ganglion Stellatum durchgeführt. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass die rechte Seite des Gehirns stärker an der Stressreaktion beteiligt ist oder dass auf der rechten Seite des Körpers eine stärkere Dominanz des Sympathikus vorliegt.
Die meisten Patientinnen profitieren von der rechtsseitigen Blockade, doch nach Angaben von Dr. Sean Mulvaney profitiert etwa 1 von 20 Patienten nur von einer linksseitigen Blockade. Viele Patientinnen, die von der Blockade auf einer Seite profitieren, könnten auch von einer zusätzlichen Blockade der anderen Seite profitieren.
Wenn eine beidseitige Blockade beabsichtigt ist, sollte das Verfahren niemals am selben Tag an beiden Ganglien durchgeführt werden! Das Änesthetikum kann zu einer vorübergehenden Lähmung der Stimmbänder führen: Wenn nur eine Seite gelähmt ist, führt dies zu einer heiseren Stimme, wenn jedoch beide Seiten gelähmt sind, können die Patientinnen Schwierigkeiten beim Atmen bekommen.
Ultraschallbild während einer Blockade des Ganglion Stellatum. Der gelbe Pfeil zeigt den Weg der Injektionsnadel an; der rosa Stern zeigt den Ort der Injektion an; die blaue Linie zeigt die prävertebrale Faszie an; der rote Kreis zeigt die Halsschlagader an; das grüne Oval zeigt die C6-Nervenwurzel an; AS, anteriorer Skalenus; C6, C6-Wirbel; LC, Colus longus. Auszug aus dem Video: https://www.youtube.com/watch?v=B6ROeVFUJSY aus dem Kanal des BMJ Journals Regional Anesthesiology and Acute Pain Medicine.
Was sind die möglichen positiven Auswirkungen einer Stellatumblockade?
Eine Ganglion Stellatum Blockade (SGB) wird zu diagnostischen Zwecken bei chronischen neuropathischen Schmerzen eingesetzt. Mit Hilfe der SGB lässt sich feststellen, ob der Schmerz durch das sympathische Nervensystem vermittelt wird, in welchem Fall der Schmerz durch die Injektion des Anästhetikums gelindert oder reduziert werden sollte.
Darüber hinaus kann die SGB bei chronischen Schmerzzuständen eine therapeutische Wirkung haben. Forscher vermuten, dass der positive Rückkopplungskreislauf der sympathischen Neuronen während der Blockade unterbrochen wird, was zu einer «Rekalibrierung» des Systems und damit zu einer Verringerung der Übererregbarkeit des sympathischen Systems führt. Die Schmerzlinderung dauert länger als die unmittelbare Betäubungswirkung der Nerven durch Injektion eines Anästhetikums (die Betäubungswirkung hält in der Regel einige Stunden an).
Aufgrund der Rolle des sympathischen Nervensystems bei der "Fight or Flight" Reaktion wurde ein potenzieller Nutzen der SGB für die Behandlung bestimmter Angstzustände untersucht. Die verfügbaren Forschungsergebnisse konzentrieren sich auf die Auswirkungen auf posttraumatische Belastungsstörungen (PTSD). Während mehrere Fallstudien über einen Nutzen berichten, sind die Ergebnisse von zwei randomisierten, kontrollierten klinischen Studien uneindeutig. In einer Studie wurde über eine signifikante Verbesserung der PTSD-Symptome nach der SGB berichtet, in der anderen Studie wurde eine solche deutliche Verbesserung nicht beobachtet.
Welche Risiken sind mit der SGB verbunden?
Laut einer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2019 über die Komplikationen der SGB sind die häufigsten Nebenwirkungen Heiserkeit und Benommenheit. Darüber hinaus wurde über Bluthochdruck, Brachialplexusblockade, Dysphagie und Husten berichtet. Heiserkeit kann mit dem Gefühl eines Kloss im Hals oder Schluckbeschwerden einhergehen.
Unmittelbar nach der Infektion können Schmerzen an der Injektionsstelle, ein hängendes Augenlid, blutunterlaufene und/oder tränende Augen, eine verstopfte Nase oder ein Wärmegefühl in den oberen Extremitäten (Arme, Hände) auftreten. Anhand einer Temperaturveränderung (1-3 Grad) in den Armen lässt sich beurteilen, ob der Eingriff erfolgreich war.
Schwerwiegende Nebenwirkungen sind selten und hängen hauptsächlich mit Komplikationen während des Eingriffs zusammen. Dazu gehören Infektionen, Blutungen durch die Punktion einer Arterie oder Vene, Nervenschäden, Pneumothorax (Lungenkollaps), Schilddrüsenverletzungen, Speiseröhren- und Luftröhrenpunktionen oder das Horner-Syndrom, ein Syndrom, das durch eine verengte Pupille (Miosis), ein hängendes Augenlid (Ptosis), vermindertes Schwitzen (Anhidrosis) und einen eingesunkenen Augapfel (Enophthalmus) gekennzeichnet ist.
Obwohl sie seit fast einem Jahrhundert angewendet wird, sind die klinischen Beweise für den Nutzen einer Stellatumblockade immer noch begrenzt.
Gibt es Belege dafür, dass eine SGB Long COVID Betroffenen helfen kann?
Die klinische Evidenz für SGB bei Long COVID Betroffenen ist sehr begrenzt. Es wurden nur wenige Fallstudien von Personen veröffentlicht, die von der Behandlung profitiert haben, aber es liegen keine grösseren kontrollierten klinischen Studien vor.
Eine Studie, in der die Symptome von 41 Patientinnen mit Long COVID analysiert wurden, wurde im August 2023 als Preprint veröffentlicht (siehe Infobox). Die Mehrheit der Teilnehmenden an dieser Studie berichtete über eine Verbesserung aller Symptome. Das Studiendesign weist jedoch einige Einschränkungen auf:
- Es wurde nicht bewertet, inwieweit sich die Symptome verbessert hatten (die Antwortmöglichkeiten waren auf «verbessert» oder «nicht verbessert» beschränkt).
- Die Zeit zwischen dem Eingriff und der Datenerhebung variierte von Patient zu Patient, was sich auf die berichteten Ergebnisse auswirken kann.
- Es wurden nur Daten von Teilnehmenden erhoben, die bereit waren, den Fragebogen bei einem Folgeanruf zu beantworten.
- Die Ergebnisse wurden nicht mit einer Kontrollgruppe verglichen, die die Behandlung nicht erhalten hat.
Aufgrund dieser Einschränkungen sind die positiven Ergebnisse dieser Studie mit Vorsicht zu geniessen.
In einer Studie aus den USA, die im Mai 2023 veröffentlicht wurde, wurden die Auswirkungen der SGB auf die häufigsten Symptome im Zusammenhang mit Long COVID bei 195 Teilnehmenden bewertet. Die deutlichste Verbesserung wurde bei Symptomen im Zusammenhang mit Geruch und Geschmack beobachtet. Es ist zu beachten, dass diese Studie ebenfalls keine Kontrollgruppe einschloss.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die SGB ein bekanntes Verfahren ist, das in der Regel nicht mit schweren Nebenwirkungen verbunden ist. Die Sicherheit der Methode wurde jedoch bei Long COVID Betroffenen nicht gründlich untersucht. Bei Betroffenen, die unter Unwohlsein nach Belastung (post-excertional malaise, PEM) leiden, könnte das Verfahren zu einem schweren Crash führen. Einige Betroffene haben berichtet, dass sie von der SGB profitieren, aber es liegt noch keine solide klinische Evidenz vor. Falls die Behandlung in Betracht gezogen wird, sollte sie sorgfältig mit einem Arzt besprochen und bewertet werden.