Die Pathophysiologie von Long COVID 1: Das Immunsystem

Die Pathophysiologie von Long COVID 1: Das Immunsystem

Die Pathophysiologie beschreibt funktionelle Veränderungen, die in unserem Körper auftreten, wenn wir krank sind. In einer neuen Serie auf Altea beschreiben wir, welche Teile des Körpers bei Long COVID betroffen sein können und was dabei schiefläuft. In Teil Eins befassen wir uns mit dem Immunsystem.

Mehr als dreieinhalb Jahre nach Beginn der COVID-19-Pandemie ist noch immer nicht ganz klar, warum manche Menschen nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 langanhaltende Symptome haben. Studien zeigen, dass Ungleichgewichte im Immunsystem zur Entwicklung von Long COVID beitragen könnten.

Unser Immunsystem schützt uns zwar bei einer COVID-19-Infektion, kann aber auch schaden, wenn es zu stark oder über einen längeren Zeitraum reagiert. Derzeitige Erkenntnisse deuten darauf hin, dass das Immunsystem während der akuten Infektion aus dem Gleichgewicht geraten und es dadurch zur Entwicklung von Long COVID-Symptomen kommen kann. Um diesen Mechanismus besser zu verstehen, werden in laufenden Studien bestimmte Immunzellen, wie T- und B-Zellen, sowie regulatorische Signalstoffe wie Zytokine untersucht, die für Langzeitsymptome verantwortlich sein könnten.

 

Eine anhaltende Immunreaktion kann zur Entwicklung von Long COVID führen

Forscher stellten mehrere Hypothesen darüber auf, warum manche Menschen nach der Genesung von COVID-19 langfristige Symptome haben:

 

  1. Das Virus verursacht bei der Erstinfektion massive Schäden im Körper, die noch lange anhalten.
  2. Das Virus verbleibt nach der Infektion noch mehrere Monate lang in einigen Körperteilen, vor allem im Verdauungs- und Nervensystem. Dieses verbleibende Virus aktiviert kontinuierlich das Immunsystem und verursacht Entzündungen.
  3. Einige Patienten mit Long COVID haben Antikörper, die fälschlicherweise ihr eigenes Körpergewebe angreifen (Autoimmunität). Es ist seit langem bekannt, dass Autoantikörper schwere Autoimmunkrankheiten verursachen können, z. B. bei rheumatoider Arthritis.

 

Eine aktuelle Studie untersuchte den Zusammenhang zwischen einem kontinuierlich aktivierten Immunsystem und dem Auftreten von Long COVID. Dabei untersuchten die Forscher bestimmte Immunzellen und -moleküle bei 127 Personen nach der akuten Phase von COVID-19. Etwa die Hälfte der Patienten entwickelte Long COVID. Die meisten von ihnen erlitten schwere Infektionen und wurden während der akuten Phase ins Krankenhaus eingeliefert.

 

Wie B-Zellen und T-Zellen bei Long COVID reagieren

In dieser Studie wurden einige Gemeinsamkeiten zwischen Personen, die an Long COVID erkrankten, oder nicht erkrankten, festgestellt. Es gibt zwei Haupttypen von T-Zellen: CD8+ und CD4+. Alle Teilnehmer hatten bis zu sechs Monate nach der Infektion aktivierte CD8+ T-Zellen, was darauf schliessen lässt, dass die durch SARS-CoV-2 verursachten Immunveränderungen länger andauern als bisher angenommen. Sechs Monate nach der Infektion hatten auch alle eine normale Anzahl an CD4+ T-Zellen, obwohl diese Zellen zu Beginn der Krankheit nur gering vorhanden waren.

In der Studie wurden auch einige wichtige Unterschiede zwischen den beiden Untergruppen der Teilnehmer festgestellt, die erklären könnten, warum Patienten mit Long COVID anhaltende Symptome haben. Die Forscher fanden heraus, dass bei Patienten mit Long COVID zytotoxische CD8+ T-Zellen (zytotoxisch aufgrund ihrer Fähigkeit, andere Zellen zu töten) grosse Mengen toxischer Moleküle produzieren. Bei diesen Patienten kam es während der Akutphase auch zu einer stärkeren Entzündung und bei längerer Erkrankung zu erhöhten Konzentrationen einiger Zytokine (so genannter Interferone) im Blut.

B-Zellen, oder B-Lymphozyten, sind eine weitere Art von Immunzellen, die von Wissenschaftlern, die sich mit Long COVID beschäftigen, eingehend untersucht werden. Diese Zellen produzieren Proteine, die als Antikörper bekannt sind und uns vor Viren oder Bakterien schützen. Allerdings kann das Immunsystem manchmal Antikörper produzieren, die versehentlich normale, gesunde Zellen angreifen und zerstören (Autoantikörper).

Eine interessante Beobachtung aus dieser Studie ist, dass Patienten mit Long COVID auch erhöhte Werte von Antikörpern namens IgA aufwiesen, die vor allem in den Schleimhäuten des Körpers wie Mund und Nase zu finden sind. Diese IgA-Werte waren bei Patienten, die eine schwere Erstinfektion hatten, besonders hoch. Die Forscher hielten fest, dass die Überwachung von IgA als einfache Methode zur Überprüfung von COVID-Patienten dienen könnte.

 

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Wie sich das Immunsystem bei Long COVID verändert

 

Autoantikörper und Long COVID

Bereits zu Beginn der COVID-19-Pandemie vermuteten Wissenschaftler, dass Autoimmunität ein Grund für die anhaltenden Symptome sein könnte, die bei einigen Menschen nach Infektion mit SARS-CoV-2 auftreten. Dies liegt daran, dass COVID-19 mit Symptomen in Verbindung gebracht wurde, die einigen durch andere Viren verursachten Autoimmunerkrankungen ähnlich sind.

Einige Studien haben bereits den Zusammenhang zwischen Autoimmunität und der Entwicklung von Long COVID bestätigt. So wurde beispielsweise in einer Studie nachgewiesen, dass spezifische Autoantikörper (antinukleäre Antikörper oder ANA) bei fast der Hälfte der Patienten mit anhaltenden Symptomen vorhanden waren. Hohe Werte dieser Autoantikörper wurden auch mit häufigeren neurokognitiven Symptomen in Verbindung gebracht.

Es ist noch nicht vollständig geklärt, ob Menschen mit Long COVID diese Autoantikörper bereits vor der Infektion mit SARS-CoV-2 hatten oder ob diese Proteine erst nach der Infektion gebildet wurden. Einige Studien haben auch gezeigt, dass die Reaktivierung latenter Herpesviren, z. B. des Epstein-Barr-Virus (EBV), die Produktion von Autoantikörpern bei Patienten mit akuter COVID-19-Infektion auslösen kann. Wie Altea bereits berichtete, wird die EBV-Reaktivierung mit einigen Long COVID-Symptomen wie Müdigkeit und verschiedenen neurokognitiven Symptomen in Verbindung gebracht.

 

Dies war Teil eins unserer Serie Pathophysiologie von Long COVID. Im nächsten Teil befassen wir uns mit dem Mikrobiom.