Postvirale Syndrome über Long COVID hinaus - Teil 2

Postvirale Syndrome über Long COVID hinaus - Teil 2

Postvirale Syndrome wurden in den vergangenen Jahrzehnten von der medizinischen Forschung weitgehend ignoriert. Der zweite Blog dieser Reihe befasst sich mit dem Vorkommen und der Pathologie dieser Erkrankung.

In dieser Blogserie wollen wir postvirale Syndrome beleuchten. Diese haben in letzter Zeit durch das Aufkommen von Long COVID einen kleinen Aufmerksamkeitsschub erhalten. Postvirale Syndrome sind seit Jahren bekannt, aber da sie schwer zu charakterisieren sind und eine Vielzahl von Symptomen umfassen können, ist das Wissen darüber, wie die Betroffenen zu behandeln sind, begrenzt.

Aufgrund dieser Symptomvielfalt und weil die Erkrankung durch verschiedene Virusinfektionen verursacht werden kann, erhalten Menschen mit postviralen Syndromen oft keine angemessene Behandlung. Häufig werden sie nicht ernst genommen, und ihre somatischen Symptome werden als psychisch bedingt eingestuft und fehldiagnostiziert (z. B. als Depression).

Im ersten Blog wurden die häufigsten Symptome des postviralen Syndroms besprochen. Nun werden wir uns im zweiten Blog auf das Vorkommen und einige Theorien zur Pathologie der Erkrankung konzentrieren. In einem dritten Blog werden wir uns schliesslich mit der Diagnose und dem Management von postviralen Syndromen befassen.

 

Wie viele Menschen leiden unter anhaltenden Symptomen nach einer Virusinfektion?

Es gibt nur wenige Informationen darüber, wie häufig das postvirale Syndrom auftritt und was mit den Betroffenen im Laufe der Zeit geschieht. Dies ist vor allem auf den Mangel an gut konzipierten Langzeitstudien und kleine Stichprobengrössen in Studien zurückzuführen.

Jahrelang wurden Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Müdigkeitssyndrom (ME/CFS) und andere postvirale Syndrome in der medizinischen Forschung weitgehend ignoriert und auch heute werden sie von vielen Ärzten nach wie vor nicht richtig verstanden. Die Fokussierung auf COVID-19 und seine langfristigen Auswirkungen könnte jedoch endlich mehr Aufmerksamkeit und Forschungsmittel für das Verständnis postviraler Syndrome bringen.

Auch wenn die Untersuchung postviraler Symptome eine Herausforderung darstellt, lassen sich doch einige klare Muster für diejenigen erkennen, die unter anhaltenden Symptomen leiden. So zeigen Studien an jungen Menschen, dass bis zu 40 % einige Wochen nach einer durch das Epstein-Barr-Virus verursachten, infektiösen Mononukleose anhaltende Symptome haben. Diese Zahl sinkt nach einem Jahr auf etwa 9 % und nach zwei Jahren auf 4 %.

Während sich die meisten Menschen innerhalb der ersten Monate von COVID-19 erholen, berichteten einer Schweizer Studie zufolge 23 % über anhaltende Symptome nach sechs Monaten. Bei etwa 17 % der Personen in dieser Studie waren die auf COVID-19 zurückzuführenden Symptome auch nach zwei Jahren noch nicht verschwunden.

Der SARS-Ausbruch zwischen 2002 und 2004 hat einige Hinweise darauf gegeben, welche Langzeitsymptome bei COVID-19 zu erwarten sind, da die Viren ähnlich sind. Nach der Genesung von SARS berichteten die Betroffenen häufig über langfristige Probleme wie Müdigkeit und Schlafprobleme sowie psychische und kognitive Probleme wie Gedächtnisstörungen, Depressionen und Angstzustände. In Studien mit einer Nachbeobachtungszeit von bis zu 12 Jahren traten bei etwa 10-20 % der Betroffenen diese anhaltenden Symptome auf.

Selbst häufige Krankheiten können zu langfristigen Problemen führen

Die langfristigen Symptome nach COVID-19 haben die Aufmerksamkeit auf das Problem der anhaltenden Gesundheitsprobleme nach Virusinfektionen gelenkt. Die Langzeitsymptome nach einer leichten oder mittelschweren COVID-19-Infektion ähneln den chronischen Erkrankungen, die durch andere Infektionen verursacht werden.

Zu den häufigsten Symptomen gehören extreme Müdigkeit, Denkschwierigkeiten, Schwierigkeiten mit den Sinnesorganen wie Geschmacks- und Geruchseinschränkungen, grippeähnliche Symptome, unruhiger Schlaf, Muskel- und Gelenkschmerzen und verschiedene andere unspezifische Symptome. Die Ähnlichkeiten zwischen den verschiedenen postviralen Syndromen deuten auf gemeinsame Ursachen hin. Diese müssen durch weitere Forschung identifiziert werden, um die dauerhaften gesundheitlichen Herausforderungen besser behandeln und verstehen zu können.

Zwei verbreitete Herpesviren, das Cytomegalovirus (CMV) und das humane Herpesvirus-6 (HHV-6), stehen ebenfalls im Verdacht, mit chronischem Fatigue-Syndrom (CFS) in Verbindung zu stehen. Diese Viren bleiben lebenslang im Körper und können während des gesamten Lebens einer infizierten Person inaktiv bleiben, ohne Symptome zu verursachen.

Sie können jedoch auch reaktiviert werden, z. B. durch ein geschwächtes Immunsystem, Stress, Krankheit, bestimmte Medikamente oder Alterung. Einige Forscher glauben, dass diese Viren, wenn sie reaktiviert werden, das Immunsystem schädigen und zu ME/CFS beitragen könnten.

Eine andere Idee ist, dass Menschen mit ME/CFS aufgrund ihres geschwächten Immunsystems empfindlicher für Virusinfektionen sind. Es ist schwer zu sagen, ob diese Viren ME/CFS verursachen können, da sie so weit verbreitet sind. Man schätzt, dass sich 60-70 % der Menschen im Laufe ihres Lebens mit CMV infizieren. Die Schätzung für HHV-6-Infektionen ist mit über 90 % sogar noch höher.

 

Theorien zu anhaltenden viralen Symptomen

Die Gründe zur Entstehung von postviralen Syndromen sind noch nicht vollständig geklärt, aber es gibt einige Theorien. Eine Theorie besagt, dass selbst wenn Tests keine Anzeichen einer Infektion zeigen, einige Teile des Virus im Körper verbleiben und sich in verschiedenen Geweben wie dem Dickdarm, der Leber und den Lymphknoten verstecken können. Diese übrig gebliebenen Teile können das Immunsystem des Körpers kontinuierlich aktivieren, was zu anhaltenden Entzündungen und daraus resultierenden Symptomen führt.

Eine zweite Theorie besagt, dass langfristige Gesundheitsprobleme nach Infektionen mit der Art und Weise zusammenhängen können, wie unser Immunsystem auf Virusinfektionen reagiert. Wenn unser Immunsystem ein Virus bekämpft, kann es versehentlich Teile des Körpers angreifen, die dem Virus ähnlichsehen. Selbst wenn das Virus verschwunden ist, reagiert das Immunsystem dann immer noch auf diese virusähnlichen Teile, was zu einer dauerhaften Entzündung führt.

Diese Hypothese wurde als Erklärung für bestimmte Autoimmunkrankheiten wie Multiple Sklerose und Typ-1-Diabetes vorgeschlagen. Es hat sich gezeigt, dass Menschen, die mit dem Epstein-Barr-Virus infiziert sind, ein deutlich höheres Risiko haben, an Multipler Sklerose zu erkranken, was diese Theorie stützt.

Die Faktoren, die vorhersagen, bei wem nach einer Virusinfektion langfristige Symptome auftreten werden, sind noch weitgehend unklar, obwohl einige Muster festgestellt wurden. So berichten beispielsweise Frauen, Menschen mit Grunderkrankungen und Menschen, die eine schwere Erstinfektion durchgemacht haben, eher über langfristige Symptome.