Angehörige von Personen mit Long COVID: Hilfe zur Selbsthilfe

Angehörige von Personen mit Long COVID: Hilfe zur Selbsthilfe

Long COVID ist auch für Angehörige belastend. Was hilft: Externe Unterstützung und der Austausch mit anderen Angehörigen. Eine Selbsthilfegruppe ist im Aufbau.

Long COVID ist nicht nur für Betroffene belastend, sondern auch für ihre Angehörigen eine Herausforderung. Denn Angehörige müssen sich genauso an die neue Situation anpassen. Besonders die Anfangsphase ist sehr intensiv und mit viel Unsicherheit behaftet, «weil man schlicht noch nicht weiss, was einen erwartet», wie Ineke Irniger, Leiterin einer Selbsthilfegruppe für Angehörige von FRAGILE Suisse, erklärt. Die Organisation bietet Unterstützung für Betroffene von Hirnverletzungen und deren Angehörige und hat demnach bereits viele Jahre Erfahrung mit dem Thema Selbsthilfe – wovon auch im Bereich Long COVID profitiert werden kann.  

Das BAG hat zum Thema betreuende Angehörige ein dreijähriges Förderprogramm durchgeführt, in dessen Rahmen die Bedürfnisse von Angehörigen erforscht wurden. Laut dem Synthesebericht (vgl. S. 47–49) lassen sich verschiedene Phasen unterscheiden, die nacheinander auftreten können, jedoch nicht zwingend alle vorkommen: 

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Die sechs Phasen der Betreuung von Angehörigen. Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an die Abbildung 8: Sechs Phasen der Betreuung den von Kaspar et al. 2019 nach Doherty und McCubbin (G04) publiziert in «Synthesebericht Förderprogramm «Entlastungsangebote für betreuende Angehörige»», Seite 49.  

Oft zögern Angehörige (zu) lange, bis sie Hilfe in Anspruch nehmen. Das erklärt auch, weshalb das Bedürfnis nach Hilfe bei vielen Angehörigen von Long-COVID-Betroffenen erst jetzt – mehr als zwei Jahre nach Ausbruch der Pandemie – zum Vorschein kommt: Zu Beginn versucht man, sich durchzuschlagen, die eigenen Bedürfnisse in den Hintergrund zu rücken und einfach zu funktionieren. Irgendwann wird die Belastung allerdings zu gross und man gesteht sich ein, dass man Hilfe braucht. 

«Es ist ein Geben und Nehmen» 

Selbsthilfe kann hier eine wichtige Rolle spielen. Sie bietet gemäss dem «Porträt Selbstmanagement-Förderung bei betreuenden Angehörigen» des BAG  «psychosoziale Entlastung, praktische Alltagstipps und ein Umfeld, in dem man sich verstanden fühlt, ohne sich erklären zu müssen.»  

Michelle Guggenbühl von Selbsthilfe Zürich beschreibt die primären Ziele von gemeinschaftlicher Selbsthilfe wie folgt: «Es geht darum, sich gegenseitig zu unterstützen und Solidarität zu zeigen. Mit dem Entscheid zur Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe übernimmt man Verantwortung für sich und sein eigenes Wohlbefinden, aber auch für die Gruppe als Ganzes – ein Geben und Nehmen. Dabei braucht es vielfach nur wenige Worte, um seine Geschichte zu teilen und verstanden zu werden.» Ein weiterer wichtiger Punkt sei, die eigene Gesundheitskompetenz zu verbessern, um sich beispielsweise in der Vielfalt der Unterstützungsangebote besser zurechtzufinden. 

«Mit dem Entscheid zur Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe übernimmt man Verantwortung für sich und sein eigenes Wohlbefinden, aber auch für die Gruppe als Ganzes.» 

Ähnliche Situation verbindet 

Seitens der Angehörigen besteht «in erster Linie das Bedürfnis, mit jemandem über die Situation zu reden», erklärt Ineke Irniger von FRAGILE Suisse. Sie ist selbst Angehörige, seit ihr Mann eine Hirnverletzung erlitten hat. Im persönlichen Umfeld sei das Reden häufig schwierig und die Probleme würden heruntergespielt oder nur schwer verstanden. In einem geschützten Rahmen mit Menschen in einer ähnlichen Situation mit vergleichbaren Herausforderungen falle einem das Reden und Erzählen oftmals leichter. «Man kann einfach sein Herz lüften», fasst Irniger zusammen.  

Im Austausch mit anderen Angehörigen ist eine thematische Einteilung deshalb durchaus sinnvoll. Dies ist mitunter ein Grund, warum Selbsthilfegruppen für Angehörige und für Betroffene häufig separat geführt werden. «Sind die Betroffenen im selben Raum, kann man nicht gleich offen und unbeschwert reden», erklärt Irniger.  

Sie fügt an: «Jammern und Klagen ist leicht. Und das braucht es auch. Aber der Schritt, dann tatsächlich etwas zu ändern, ist für viele sehr schwierig.» Die Schwierigkeit sieht sie insbesondere darin, dass Angehörige die Situation quasi akzeptieren, sich zurückziehen und gar nicht die Kraft dafür haben, über mögliche Veränderungen nachzudenken. 

«Der Schritt, dann tatsächlich etwas zu ändern, ist für viele sehr schwierig 

Selbsthilfegruppe für Angehörige von Long-COVID-Betroffenen 

In der Schweiz gibt es gemäss dem BAG rund 2'500 Selbsthilfegruppen mit ca. 43'000 Teilnehmenden. 344 Gruppen richten sich an Betroffene und Angehörige, 518 Gruppen ausschliesslich an Angehörige. Eine Selbsthilfegruppe für Angehörige von Long-COVID-Betroffenen gibt es aktuell noch nicht. «Eine solche ist aber im Aufbau», sagt Guggenbühl von Selbsthilfe Zürich. Selbsthilfegruppen werden auf Nachfrage der Betroffenen oder Angehörigen gegründet – auch hier kam der Wunsch zur Gründung von einer angehörigen Person.  

Zusammen mit der Initiantin wurde die Ausrichtung der Gruppe definiert und ein Flyer erstellt. Aktuell wird eine Warteliste geführt. Sobald sich genügend interessierte Personen gemeldet haben, begleitet Selbsthilfe Zürich die Gründung der Gruppe. Normalerweise umfasst eine Gruppe zwischen acht und zwölf Personen. 

Viele Selbsthilfegruppen treffen sich nach wie vor physisch. Im Fall der Long-COVID-Selbsthilfegruppe für Angehörige ist eine Video-Gruppe angedacht. «Weil dies momentan die einzige Gruppe für Angehörige im Bereich Long-COVID ist, möchten wir sicherstellen, dass Menschen aus der ganzen Schweiz Zugang dazu haben», erklärt Guggenbühl. Nach einer geleiteten Anfangsphase organisiert sich die Gruppe selbstständig. Die Themenwahl und Ausgestaltung der Treffen erfolgen durch die Teilnehmenden. 

«Man sollte auch noch ein eigenes Leben haben und nicht alles nur noch auf die betroffene Person ausrichten.» 

«Schaut auf euch selbst» 

Im ganzen Trubel der Betreuung ist laut Ineke Irniger eines besonders wichtig: «Man sollte auch noch ein eigenes Leben haben und nicht alles nur noch auf die betroffene Person ausrichten.» Dazu gehöre es, sich Aktivitäten zu suchen, die einem selbst guttun. Nur so könne man auch wieder Energie tanken, um die Betreuung zu managen. 

Michelle Guggenbühl rät ausserdem, «eine Selbsthilfegruppe einfach mal auszuprobieren». Viele Angehörige hätten diese Möglichkeit vielleicht gar nicht im Fokus. Der Austausch mit Gleichbetroffenen sei eine gute Ergänzung zu anderen Angeboten wie beispielsweise einer Einzelberatung oder -therapie.  

Externe Unterstützungsangebote 

«Gemeinschaftliche Selbsthilfe kann das Unterstützungsnetz vervollständigen und neue Perspektiven eröffnen», erklärt Guggenbühl. So sei es auch immer wieder beeindruckend, wenn die Menschen zum ersten Mal in der Gruppe zusammentreffen. «Die Erleichterung, Menschen in einer ähnlichen Situation kennenzulernen, ist den Teilnehmenden anzumerken und oftmals kommen Emotionen hoch», erzählt sie.  

Genauso wichtig ist aber auch zu merken, wenn man es alleine nicht mehr schafft. Denn wenn man sich selbst überfordert, leidet unter Umständen sowohl die Qualität der Betreuung als auch die Beziehung zur betroffenen Person. Für solche Fälle gibt unterschiedliche externe Unterstützungs- und Entlastungsangebote, die helfen, in den neuen Alltag von Betroffenen und Angehörigen überzugehen und diesen für alle so angenehm wie möglich zu gestalten. Die Angebote sind kantonal geregelt und reichen, wie beispielsweise der Kanton Aargau schreibt, «vom Fahrdienst über individuelle Beratungsangebote, Tagesstätten oder Angebote im Bereich der finanziellen Unterstützung». Eine Auswahl an weiterführenden Informationen und Anlaufstellen sind in nachstehender Infobox zu finden.  

Informationen und Anlaufstellen 
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