IV-Verfahren beschleunigen: Wie man auf rasche Bearbeitung pocht

Manche sind von Long COVID so stark betroffen, dass sie sich bei der IV anmelden müssen. Doch was, wenn das Verfahren stockt? Die Tipps vom Experten.

Anwältinnen und Anwälte des Verbands Covid Langzeitfolgen nehmen im Altea-Blog Stellung zu rechtlichen Fragen, mit denen Betroffene von Long COVID konfrontiert sind. In diesem Beitrag befasst sich Christian Haag mit Fragen zur Invalidenversicherung. Der folgende fiktive Fall basiert auf realen Zuschriften:

Ich bin seit mehr als einem Jahr bei der IV angemeldet, habe aber immer noch keinen Bescheid bekommen. Inzwischen wurde mir die Stelle gekündigt, und das Krankentaggeld läuft bald aus. Ich weiss nicht, wie lange ich meine Miete noch bezahlen kann. Was soll ich tun?

Damit es in Ihrem Fall vorwärts geht, empfehle ich folgendes Vorgehen:

  1. Bestellen Sie schriftlich die vollständigen Akten der Invalidenversicherung (inkl. der Akten, die sich allenfalls noch «in Bearbeitung» befinden).
  2. Studieren Sie die Akten um zu prüfen, was alles gelaufen ist, und wo der Fall bei der IV steht.
  3. Wenn das Verfahrenstempo der Natur der Sache nicht angemessen erscheint (dazu weiter unten mehr), schreiben Sie der IV einen eingeschriebenen Brief mit folgendem Inhalt:
    • Setzen Sie eine Frist von 30 Tagen
    • Fordern Sie dazu auf, bis zu einem bestimmten Datum einen schriftlichen Entscheid zu fällen (z.B. über berufliche Massnahmen, Taggeld, medizinische Abklärung, oder Rente – je nach Sachlage).
    • Weisen Sie darauf hin, dass Sie bei Verstreichen der Frist eine Rechtsverzögerungsbeschwerde erheben werden.

Das wirkt meistens.

Ein eingeschriebener Brief kann schon viel bewirken, sodass kein Gerichtsverfahren notwendig wird.

Nächster Schritt: Beschwerde einreichen

Wenn die gesetzte Frist trotzdem unbenutzt abgelaufen ist, ohne dass ein nachvollziehbarer Zeithorizont für das weitere Vorgehen genannt wird und mit einem baldigen Entscheid zu rechnen ist, kann eine Rechtsverzögerungsbeschwerde geprüft werden.

Dazu ist es sinnvoll, einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen (z.B. vom Verband Covid Langzeitfolgen). Aktenstudium, Prüfung einer Rechtsverzögerungsbeschwerde und Verfassen einer solchen verursachen durchschnittlich Aufwand von drei bis sechs Stunden und somit Kosten von 1000 bis 2000 Franken, zuzüglich Gerichtskosten. Der genaue Betrag ist abhängig vom Umfang der Akten und der Komplexität des Falles. Heisst das kantonale Gericht die Rechtsverzögerungsbeschwerde gut, so muss die IV meist eine Parteientschädigung bezahlen, welchen einen Grossteil der Anwaltskosten deckt.

Rechtliche Grundlagen

Im Folgenden werden die rechtlichen Grundlagen für eine Rechtsverzögerungsbeschwerde skizziert. Eine ausführliche Version dieser Herleitung mit detaillierten Quellenangaben ist auf der Webseite des Verbands Covid Langzeitfolgen publiziert.

Nach maximal 12 Monaten sollte die IV eine Verfügung erlassen.

Anspruch auf IV-Leistungen

Gemäss Bundesgesetz über die Invalidenversicherung haben Versicherte Anspruch auf eine Rente, wenn sie während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40 % arbeitsunfähig gewesen und nach Ablauf dieses Jahres mindestens 40 % invalid sind. Ein Rentenanspruch entsteht zudem auch, wenn die versicherte Person nach Ablauf der einjährigen Wartezeit nicht oder noch nicht eingliederungsfähig ist.

Die Gewährung von Frühinterventionsmassnahmen entbindet die IV nicht von der Pflicht, abzuklären, welche beruflichen Massnahmen nötig sind und welche Rentenhöhe allenfalls in Frage kommt, damit eine bestmögliche Arbeitsintegration erreicht werden kann. Vielmehr sollte es ihr nach Ende der maximal zwölf Monate dauernden Frühinterventionsphase möglich sein, eine förmliche Verfügung über die Zusprache oder Verweigerung von Eingliederungsmassnahmen (inklusive Taggelder) oder den Rentenanspruch zu erlassen.

Anspruch auf zügige Behandlung

Wer einen Antrag stellt, hat Anspruch auf eine Beurteilung innert angemessener Frist. In sozialversicherungsrechtlichen Verfahren kommt der Raschheit der Entscheidung besonders hohe Bedeutung zu. Der Anspruch auf ein zügiges Vorantreiben des Verfahrens darf aber nicht zur Folge haben, dass deswegen der Sachverhalt nicht mit der erforderlichen Sorgfalt untersucht und beurteilt wird.

Der Grund für die Verzögerung ist unerheblich.

Wann liegt Rechtsverzögerung vor?

Wenn sich die Invalidenversicherung zu lange Zeit lässt mit einem Entscheid, kann eine Rechtsverzögerung vorliegen. Dies gilt dann, wenn sie nicht binnen der Frist entscheidet, welche «nach der Natur der Sache und nach der Gesamtheit der übrigen Umstände als angemessen erscheint». Es obliegt dem Gericht zu prüfen, ob im konkreten Fall die IV rasch genug handelt, oder ob sie sich gesamthaft betrachtet zu viel Zeit lässt und damit eine Rechtsverzögerung begeht. Der Grund, der zur Verzögerung führt, ist nicht relevant, Überlastung auf Seiten der IV ist z. B. keine Entschuldigung.

Die Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer entzieht sich somit starren Regeln. Es ist vielmehr in jedem Einzelfall zu prüfen, ob sich die Dauer unter den konkreten Umständen als angemessen erweist. Der Streitgegenstand und die damit verbundene Interessenlage können raschere Entscheide erfordern oder längere Behandlungsperioden erlauben.

Versicherte müssen mahnen

Damit Sie die Rechtsverzögerung geltend machen können, müssen Sie die zuständige Behörde zunächst auffordern, das Verfahren voranzutreiben (siehe Punkt 3 in der Handlungsempfehlung). Wenn die Behörde trotzdem keine Verfügung erlässt, können Sie Beschwerde beim kantonalen Versicherungsgericht erheben. Damit Sie dort Rechtverzögerung geltend machen können, müssen Sie also zuerst gemahnt, auf eine Verfügung gepocht und Frist für diese gesetzt haben.

Wenn die Beschwerde abgewiesen wird, können in manchen Kantonen Gerichtskosten entstehen.

Die Rechtsverzögerungsbeschwerde prüft nicht den Leistungsanspruch

Bei der Rechtsverzögerungsbeschwerde geht es darum, eine Verfügung zu bekommen: Denn erst eine gültige Verfügung können Sie falls nötig rechtlich anfechten und damit Ihren Fall erneut prüfen lassen. Bei der Rechtsverzögerungsbeschwerde wird also nicht geprüft, ob Sie Anspruch auf Leistungen der IV haben oder nicht. Sie können damit das Verfahren beschleunigen, damit ihr Leitungsanspruch abgeklärt wird. Im besten Fall bekommen Sie dadurch rasch einen (positiven) Bescheid.

Kosten

Ein Gerichtsverfahren gegen die IV über eine Rechtsverzögerung ist keine «Leistungsstreitigkeit». Gewinnt die IV (verneint also das Gericht eine Rechtsverzögerung), muss ihr keine Parteientschädigung bezahlt werden und die Gerichtskosten werden der IV auferlegt. Das kantonale Recht kann aber eine Kostenpflicht vorsehen. Diese Kosten gehen zulasten der versicherten Person, wenn ihre Rechtsverzögerungsbeschwerde abgewiesen wird. Üblich sind z. B. im Kanton Luzern Gerichtskosten von 500 bis 1000 Franken.

Rechtsanwalt Christian Haag (lic. iur.) ist Fachanwalt SAV für Haftplicht- und Versicherungsrecht und Partner bei Häfliger Haag Häfliger (www.anwaltluzern.ch).