Spiroergometrie bei Long COVID: Nutzen und Hintergründe

Spiroergometrie bei Long COVID: Nutzen und Hintergründe

Bei Long COVID kann eine Spiroergometrie wichtige diagnostische Erkenntnisse bringen. Was wird genau gemacht, worauf kommt es an, und was muss beachtet werden?

Für die Diagnose von Long COVID, die Auswahl geeigneter Therapien und die Verlaufskontrolle können Belastungstest wichtige Informationen liefern. Es gibt einfache Tests, die in jeder Hausarztpraxis durchgeführt werden können (hier haben wir darüber berichtet). Mehr Hinweise kann eine Spiroergometrie liefern, für die es Spezialisten braucht.

Doch worauf muss man dabei achten? Was ist der Mehrwert einer Spiroergometrie, wann ist sie sinnvoll, wo liegen die möglichen Risiken? Julia Jermann und Silvio Catuogno von der Universitätsklinik Balgrist geben Auskunft.

Welche Vorteile bringt eine Spiroergometrie gegenüber simpleren Belastungstests?

Julia Jermann: Eine Spiroergometrie erlaubt nicht nur, eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit mess- und vergleichbar zu machen. Man kann auch genauer lokalisieren, wo das Problem liegt. Wir können sehen, welches Rädchen im Gesamtsystem (Herz, Lunge, Muskulatur) am ehesten klemmt. Vor allem bekommen wir Hinweise, warum dies so ist. Darüber erfährt man bei den einfacheren Belastungstests zu wenig. Diese Informationen sind aber notwendig, um Therapie und Training gezielt abstimmen zu können.

Gemäss einer Studie sei für die Belastungsintoleranz mit Long COVID das «periphere System» verantwortlich. Was bedeutet das?

Jermann: Damit ist gemeint, dass weder das Herz noch die Lunge geschädigt sind, sondern die Probleme eher in der «Peripherie» entstehen, also zum Beispiel in der Skelettmuskulatur oder in den Gefässen. Dort scheint mit der Energieversorgung der Muskeln etwas nicht zu stimmen. Der Sauerstoff schafft es nicht bis dorthin, wo er gebraucht wird.

Es gibt in der Literatur jedoch auch Hinweise auf eine Beeinträchtigung in der Funktion von Herz und Lunge nach einer Infektion mit dem Coronavirus. Daher gilt es auszuschliessen, dass es dort Einschränkungen gibt. Vor allem die Herzmuskelentzündung (Myokarditis) gilt es hier zu erwähnen.

Was sehen Sie denn bei Ihren Patientinnen und Patienten?

Jermann: Bisher konnten wir glücklicherweise bei den meisten Betroffenen von Long COVID, die wir untersucht haben, Schädigungen von Herz oder Lunge ausschliessen. In einigen Fällen waren jedoch weitere Untersuchungen nötig, da Auffälligkeiten im Blutdruckverhalten oder Herzrhythmus beobachtet wurden. Nur auf diesem Weg kann ausgeschlossen werden, dass eine Schädigung von Herz und/oder Lunge die Ursache für die Beschwerden ist. Wenn man das übersieht, könnte es gefährlich werden. Die Therapie wäre auch eine ganz andere.

Experten SmallPorträts Jermann und Catuogno

Angenommen, man konnte andere Ursachen ausschliessen. Was bringt die Ausschlussdiagnostik für die Betroffenen konkret?

Jermann: Vielleicht findet man es im ersten Moment frustrierend, wenn man «nichts» findet, das man auch direkt behandeln könnte. In den meisten Fällen ist es aber auch eine Entlastung für die Betroffenen. Ich sehe zwei Vorteile: Erstens die beruhigende Gewissheit, dass man keine Schädigung oder Fehlfunktion der lebenswichtigen Organe Herz und Lunge hat oder durch Training oder körperliche Aktivität riskieren würde. Und zweitens helfen die Messwerte aus der Spiroergometrie, ein behutsames und individuell zugeschnittenes Aufbauprogramm mit klaren Therapieinhalten und Grenzwerten zusammenzustellen. Gerade bei Fatigue ist es wichtig, die korrekte Intensität zu finden.

Was meinen Sie mit korrekter Intensität?

Jermann: Wir betreuen bei uns oft Sportlerinnen und Sportler, die ihren Körper und ihr Regenrationstempo nach einem Unfall oder einer Krankheit gut kennen. Mit Long COVID ist das nun anders: Die Leistungsfähigkeit sackt völlig unverhältnismässig tief und schnell ab. Und die Fortschritte sind viel kleiner, zum Teil kaum spürbar, alte Erfahrungswerte gelten nicht mehr. Hier können wir ein Programm mit langsamen Belastungssteigerungen definieren, deren Umfang durch die Messwerte gestützt ist – ein individuell abgestimmtes Pacing.

Wenn man nicht Berufssportler ist, ist die Belastungsdosierung noch schwieriger, da das Körpergefühl und der Bezug zu Anstrengung und Erschöpfung weniger gut ausgeprägt sind. Hier sind klare Empfehlungen fürs Aufbautraining fast noch wichtiger. Bei Patienten mit deutlichen klinischen Beschwerden sollte dies dann auch unter fachmännischer Anleitung vorgenommen werden, wie dies zum Beispiel bei uns in einem interdisziplinären Team mit einem Sportphysiotherapeuten erfolgt. Und natürlich lassen sich so später auch Fortschritte messen. Es mehren sich in der Literatur übrigens die Hinweise, dass die Symptome langfristig meist reversibel sind.

Manche Betroffene von Long COVID leiden unter Post-Exertional Malaise (PEM): Ihr Zustand kann sich nach Anstrengungen deutlich verschlechtern. Sollte man unter gewissen Voraussetzungen von einer Spiroergometrie absehen?

Silvio Catuogno: Wir haben über 50 Spiroergometrien nach einer Covid-Infektion durchgeführt. Bisher ist es bei niemandem zu einer solchen Verschlechterung gekommen. Klar ist aber: Eine Spiroergometrie ist nach einer Covid-Erkrankung nicht für alle indiziert bzw. es ist nicht immer der richtige Zeitpunkt dafür. Wer PEM schon aus dem Alltag kennt, also schon nach kleinsten Anstrengungen unverhältnismässig und nachhaltig erschöpft ist, sollte sich nicht an die Belastungsgrenze bringen, mit welchen Mitteln auch immer.

Für solche Fälle stehen Testprotokolle zur Verfügung, welche nicht bis ans absolute Maximum der Leistungsfähigkeit gehen. Alternativ wählt man Testverfahren wie den Gehtest oder Sit-to-Stand-Test, welche eine deutlich geringere Belastung darstellen und eher mit dem Alltag vergleichbar sind.

Wie findet man heraus, wer nicht ans Maximum gehen sollte?

Catuogno: Der Entscheid zur notwendigen Untersuchung wird im vorgängigen Arztgespräch gefällt. Oberstes Prinzip ist es, in der aktuellen Situation die jeweils geeigneten Untersuchungen anzuwenden. Die Spiroergometrie ist im Zusammenspiel mit der Anamnese durch den Arzt und weiteren begleitenden Untersuchung wie z.B. einem EKG, Lungenfunktion, Laboruntersuchung oder weiteren Untersuchungen zu sehen.

Eine klare Diagnosestellung bringt Vorteile: Da die Belastungssteuerung der Betroffenen über das Körpergefühl und frühere Trainingserfahrungen nicht mehr funktioniert, benötigen wir objektive Kriterien der Belastungssteuerung. Dafür bringt eine Spiroergometrie wichtige Erkenntnisse und ist für die Rehabilitation ein grosser Gewinn.

«Es können alle kommen, die von anhaltenden Beschwerden und Einschränkungen betroffen sind.»

Wer kommt für eine Spiroergometrie zu Ihnen?

Catuogno: Im Prinzip alle Personen, die von anhaltenden Beschwerden und Einschränkungen betroffen sind. Das können Leute sein, die schon vorher bei uns in der Sportmedizin waren und von denen wir deshalb Vergleichswerte haben. Aber auch Personen, die uns von Hausärzten oder Spezialistinnen zugewiesen werden, oder sich sogar persönlich bei uns anmelden.

Sehen Sie so etwas wie verschiedene Typen von Betroffenen? Mit unterschiedlichen Reaktionen auf eine Belastung?

Catuogno: Covid zeigt ja viele unterschiedliche Verläufe und es sind unterschiedlichste Organe betroffen. Die Forschung über verschiedene Typen von Long COVID läuft derzeit auf Hochtouren. Es gibt erste Tendenzen (siehe auch Link 2), aber derzeit noch keine klar definierten Unterscheidungen und Kriterien. Im Moment lernen wir ständig dazu.

Julia Jermann und Silvio Catuogno
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Das Beispiel von Simona Kopp
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