Wie bereits erläutert, sind doppelt so viele Frauen wie Männer von Long COVID betroffen. Die Auswirkungen auf Transgender-Personen sind noch grösser. Sowohl Östrogen als auch Testosteron haben bedeutende immunmodulatorische Eigenschaften. Östrogen und Testosteron werden bei allen Geschlechtern produziert, allerdings in sehr unterschiedlichen Mengen. In mehreren Studien wurden daher die Fortpflanzungsfähigkeit und die Konzentration von Sexualhormonen bei Patienten mit Long COVID untersucht und festgestellt, dass die Krankheit sowohl die Fruchtbarkeit als auch das Immunsystem beeinträchtigen kann.
Die Reproduktionsmedizin befasst sich mit der Fruchtbarkeit und anderen Reproduktionsereignissen wie Pubertät, Menopause und Geburtenkontrolle.
Long COVID und die weibliche Reproduktionsgesundheit
Etwa 85 % der Patienten mit Autoimmunkrankheiten sind weiblich. Inzwischen scheint es allgemein bekannt zu sein, dass Frauen ein erhöhtes Risiko für Long COVID haben. Über dieses Phänomen haben wir bereits in einem früheren Blogbeitrag berichtet.
Im Laufe des Lebens einer Frau verändert sich ihr Hormonspiegel. Die einflussreichsten Phasen sind die Pubertät und die Wechseljahre. Bei einigen Frauen kommen Schwangerschaft und Stillen dazu. Jede dieser Phasen und Veränderungen des Sexualhormonspiegels kann auch zu Veränderungen im Immunsystem führen. Eine aktuelle wissenschaftliche Übersichtsarbeit hat diese Auswirkungen zusammengefasst.
Das Hormon Östrogen stärkt die Immunreaktionen gegen Krankheitserreger, aber auch, im Falle der Autoimmunität, gegen den Körper selbst. Der Östrogenspiegel sinkt drastisch, wenn eine Frau in die Menopause kommt. Dies könnte ein Grund dafür sein, dass Long COVID vor allem Frauen betrifft, die noch nicht in den Wechseljahren sind (prämenopausale Frauen).
Der Menstruationszyklus
Studien deuten darauf hin, dass prämenopausale Frauen mit Long COVID häufig verstärkte prämenstruelle Symptome und/oder eine Verschlimmerung der Long COVID-Symptome in Verbindung mit Veränderungen des Menstruationszyklus erleben. In einer Querschnittsstudie (eine Studie, die eine einzelne Stichprobe als Querschnitt vieler Teilnehmer untersucht) mit fast 1800 Teilnehmerinnen berichtete mehr als ein Drittel der menstruierenden Patienten mit Long COVID über verstärkte Symptome in der Woche vor oder während der Menstruation. In einer anderen Querschnittsstudie mit 460 Teilnehmerinnen berichteten 62 % der Patienten mit Long COVID über verstärkte Symptome in den Tagen vor der Menstruation. Long COVID-Patientinnen bemerken häufig Unregelmässigkeiten in ihren Menstruationszyklen, wie z. B. Schwankungen in der Zykluslänge, Dauer und Intensität der Menstruation.
In einer retrospektiven Fall-Kontroll-Studie wurden die Auswirkungen von COVID-19 (fast 1000 Teilnehmerinnen) und der Impfung (fast 5000 Teilnehmerinnen) auf die Menstruationsgesundheit verglichen. Die Ergebnisse zeigten, dass eine frühere COVID-19-Infektion, nicht aber eine Impfung, mit einem erhöhten Risiko für eine veränderte Dauer des Menstruationszyklus, intermenstruelle Blutungen (Blutungen zwischen den Perioden), verstärkten Menstruationsfluss und das Ausbleiben der Periode verbunden war.
Fruchtbarkeit und Gesundheit der Eierstöcke
Eine Fallstudie ist eine Veröffentlichung, in der Beobachtungen wie Symptome, Behandlung und Nachsorge einzelner Patientinnen detailliert beschrieben werden. Es handelt sich nicht um eine detaillierte klinische Studie mit Kontrollgruppen, die solide wissenschaftliche Beweise liefert, sondern um eine hilfreiche erste Beobachtung, die aufzeigt, wo weitere Forschung erforderlich ist. In einem kürzlich erschienenen Blogpost haben wir die Vertrauenswürdigkeit verschiedener Arten von wissenschaftlichen Veröffentlichungen erläutert.
Vertrauenslevel der verschiedenen Publikationsformen.
Einige Fallstudien deuten auf einen möglichen Zusammenhang zwischen einer COVID-19-Infektion und der langfristigen Verschlechterung der Gesundheit der Eierstöcke hin. Dazu gehört auch das Auftretens einer vorzeitigen Ovarialinsuffizienz (POI), die durch einen Rückgang der normalen Eierstockfunktion vor dem 40. Lebensjahr auf eine verfrühte Menopause hindeutet.
Da man sich jedoch ausschliesslich auf Fallberichte stützt, gibt es keine Schätzungen über die Häufigkeit der POI nach der COVID-19-Infektion oder ihren Zusammenhang mit Begleiterkrankungen. Somit ist nicht bekannt, ob POI bei Personen mit Long COVID häufiger vorkommen.
Long COVID und Schwangerschaft
Während der Schwangerschaft steigt der Östrogenspiegel an. Bei solch hohen Konzentrationen scheinen Östrogene eher immunhemmende Wirkungen zu haben.
Der Zusammenhang zwischen Long COVID und Schwangerschaft ist bisher nur in begrenztem Umfang erforscht worden. In Ecuador ergab eine Querschnittsstudie bei schwangeren (n = 16) und nicht schwangeren (n = 231) Frauen mit Long COVID ein ähnliches Beschwerdebild. Müdigkeit, Haarausfall und Konzentrationsschwierigkeiten waren die drei am häufigsten genannten Symptome in beiden Gruppen.
In einer prospektiven Kohortenstudie in den USA wiesen 25 % der schwangeren Frauen acht oder mehr Wochen nach dem positiven Test auf SARS-CoV-2 Long COVID-Symptome auf. Es gibt jedoch nur wenige Untersuchungen darüber, wie sich Long COVID auf die Schwangerschaft auswirkt.
Eine weitere erwähnenswerte prospektive Kohortenstudie mit Kontrollgruppe in Brasilien (n = 88), bei der schwangere Frauen nach einem positiven Test auf COVID-19 (n = 84) beobachtet wurden, ergab, dass 75,9 % der Teilnehmerinnen Long COVID entwickelten. Darüber hinaus wies die Studie auf ein höheres Risiko für anhaltende Fatigue bei Patientinnen hin, die während der Schwangerschaft Glukokortikoide zur Behandlung von COVID-19 erhalten hatten. Diese Studie zeigt auf, wie wichtige weitere Studien in grösseren Populationen sind.
Teil eins dieser Serie erklärt, was wir derzeit über die Auswirkungen von Long COVID auf die reproduktive Gesundheit von Frauen wissen. Teil zwei fasst zusammen, was über die reproduktive Gesundheit bei ME/CFS und POTS bekannt ist.