Verbleibende SARS-CoV-2-Fragmente können schwere Entzündungen verursachen

Verbleibende SARS-CoV-2-Fragmente können schwere Entzündungen verursachen

Trotz bedeutender Forschungsfortschritte in den letzten vier Jahren verstehen wir das komplexe Zusammenspiel zwischen Coronaviren und unserem Immunsystem noch immer nicht vollständig. Eine aktuelle Studie deutet darauf hin, dass virale Rückstände von SARS-CoV-2 schwere Entzündungen auslösen, welche zu Long COVID-Symptomen beitragen könnten.

Die meisten Menschen, die mit SARS-CoV-2 infiziert sind, zeigen nur leichte Symptome. Ein kleiner Prozentsatz kann jedoch schwere Komplikationen wie Atemversagen, septischen Schock und sogar multiples Organversagen entwickeln. COVID-19 kann ausserdem auch Organe befallen, die nicht direkt durch das Virus befallen sind. Bei einigen schwer erkrankten Patienten treten Blutgerinnsel und geschädigte Blutgefässe auf. Andere können Symptome entwickeln, die Autoimmunkrankheiten wie Arthritis oder Lupus ähneln. Bei ihnen zeigen sich Anzeichen einer Aktivierung des Immunsystems, die nicht typisch für eine Virusinfektion sind.

Eine neue internationale Studie legt nahe, dass das Immunsystem beim Abbau des Virus Viruspartikel zurücklässt, die schädliche Immunreaktionen auslösen können. Die Autoren vergleichen diesen Prozess mit der Verdauung von Nahrung, die nicht mit dem Abbau der Nahrung endet, sondern Partikel hinterlässt, die Auswirkungen auf unseren Stoffwechsel haben.

 

Virusfragmente imitieren bekannte menschliche Immunpeptide

Die Forscher nutzten modernste wissenschaftliche Methoden, um spezifische Partikel zu identifizieren, die während des Abbaus von SARS-CoV-2 entstehen und schwere Entzündungen verursachen können. Diese Fragmente werden als XenoAMPs bezeichnet, da sie bekannten antimikrobiellen Peptiden (AMPs) ähneln.

AMPs sind Teil unseres Immunsystems und töten Bakterien, Viren, Parasiten und sogar Krebszellen.

Das bekannteste AMP in unserem Körper ist Cathelicidin LL-37 und ist für die Immunabwehr gegen Mikroben verantwortlich. Wenn sich ein Virus in unseren Zellen vermehrt, werden negativ geladene Moleküle wie doppelsträngige RNA (dsRNA) erzeugt. Cathelicidin LL-37 ist positiv geladen und bindet daher diese dsRNA. Dadurch bildet sich ein Cathelicidin LL-37/dsRNA-Komplex, der die Immunantwort stimuliert und uns bei der Bekämpfung von Infektionen hilft. Aber: Diese Stimulation kann bei Menschen mit einem dysregulierten Immunsystem auch zu Autoimmunreaktionen führen.

In dieser Studie untersuchten die Forscher, ob sich SARS-CoV-2-Fragmente ähnlich wie Cathelicidin LL-37 verhalten. Zur Identifizierung von SARS-CoV-2-Fragmenten setzten die Studienautoren zunächst Machine Learning ein, um alle Proteine zu scannen, die während des Virusabbaus produziert werden. Sie konzentrierten sich auf drei Proteinfragmente mit einer hohen positiven Ladung, ähnlich dem Cathelicidin LL-37.

 

SARS-CoV-2 ist ein Virustyp aus der Familie der Coronaviren. Um seine spezifischen Auswirkungen zu verstehen, verglichen die Forscher die Fragmente von SARS-CoV-2 nicht nur mit Cathelicidin LL-37, sondern auch direkt mit den Fragmenten eines anderen menschlichen Coronavirus namens OC43 (HCoV-OC43), welches nur eine leichte Erkältung verursacht. Sie fanden heraus, dass SARS-CoV-2 besonders spezifische Regionen mit hoher positiver Ladung hat, was bedeutet, dass diese Partikel eher wie Cathelicidin LL-37 funktionieren und schwerere Entzündungen verursachen als das weniger schädliche HCoV-OC43.

 

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Das Genom von SARS-CoV-2 enthält XenoAmp Motive (Quelle: Zhang et al.)

 

Ein neues therapeutisches Ziel?

Schliesslich führten die Forscher eine Reihe von Laborexperimenten durch, um diese Ergebnisse zu untermauern. Sie untersuchten Proben von 29 Patienten mit schwerem COVID-19 mit Massenspektrometrie. Die Ergebnisse zeigten das Vorhandensein sowohl von Cathelicidin LL-37 als auch von verschiedenen SARS-CoV-2-Fragmenten, von denen einige als die oben erwähnten XenoAMPs eingestuft werden konnten.

Weitere Experimente wurden an Mäusen durchgeführt. Sie zeigten, dass sich diese positiv geladenen SARS-CoV-2-Fragmente mit dsRNA verbinden konnten, was eine stärkere Immunreaktion auslöste als die, die bei Fragmenten des weniger schädlichen HCoV-OC43 beobachtet wurde. Dies wurde durch die erhöhte Produktion von entzündungsfördernden Molekülen in Monozyten (einer Art von Immunzellen), Haut- und Lungenzellen nachgewiesen.

 

Was bedeutet diese Studie?

Insgesamt deutet diese Studie auf eine neuartige und unerwartete Weise hin, in der SARS-CoV-2 intensive Immunreaktionen im Körper auslösen kann, nachdem unser Immunsystem das Virus vernichtet hat. Dies könnte das breite Spektrum an schweren Symptomen und Komplikationen erklären, die bei Patienten nach COVID-19 auftreten, einschliesslich solcher, die Autoimmunkrankheiten ähneln.

Diese Studie zeigt jedoch nur, dass SARS-CoV-2 mehr positiv geladene XenoAMPS aufweist als andere Coronaviren. Ob und wie diese Motive gezielt angegriffen werden können, muss in weiteren Arbeiten untersucht werden. Nichtsdestotrotz haben uns die Forscher einen Schritt weitergebracht, die Pandemie zu verstehen. Sie hoffen, dass diese Erkenntnisse dazu beitragen werden, Behandlungen zu finden und auch die potenzielle Pandemiegefahr künftiger Coronaviren besser vorhersagen zu können.