Aus unserer Community: Ganzkörperkältetherapie bei Long COVID

Aus unserer Community: Ganzkörperkältetherapie bei Long COVID

Bei der Ganzkörperkältetherapie wird der gesamte Körper für kurze Zeit extrem niedrigen Temperaturen ausgesetzt, in der Regel zwischen -110°C und -140°C. Die Methode wird als Mittel zur Behandlung verschiedener Erkrankungen, darunter auch Long COVID, angepriesen. Allerdings ist diese Methode derzeit von den Aufsichtsbehörden für keine Erkrankung als Therapie zugelassen, da es an wissenschaftlichen Beweisen für ihren gesundheitlichen Nutzen mangelt.

In der Blog-Kategorie "Aus unserer Community" wollen wir Behandlungen ansprechen, die von Long COVID Betroffenen und Gesundheitsfachpersonen kontrovers diskutiert werden. Im Altea-Forum, in Stories und in Diskussionen mit Betroffenen, haben wir eine Reihe von Behandlungsvorschlägen gesehen, die (noch) nicht offiziell empfohlen werden. Um die Sicherheit und Wirksamkeit dieser Behandlungen beurteilen zu können, schauen wir uns die Wissenschaft dahinter an. Unser Ziel ist es, einen Überblick über die verfügbare Evidenz zu geben, zu bewerten, ob die vorhandenen Daten zuverlässig sind oder nicht, und zusammenzufassen, welche Risiken mit diesen Behandlungen verbunden sein könnten. Heute befassen wir uns mit der Ganzkörperkältetherapie.

 

Einsatz in der Sportmedizin

In den letzten Jahren ist die Ganzkörperkältetherapie in der Sportmedizin populär geworden, weil sie angeblich Verletzungen vorbeugt, Schmerzen und Entzündungssymptome lindert und die sportliche Leistung steigert. Auch bei vielen Erkrankungen wie Multipler Sklerose, Arthritis, Asthma, Migräne, Fibromyalgie, Depressionen, Angstzuständen und neuerdings auch Long COVID wird ihr ein Nutzen zugeschrieben.

Die genauen Mechanismen der Ganzkörperkältetherapie sind nicht bekannt, aber die Theorie dahinter ist, dass extreme Kälte Entzündungen lindern kann, indem sie den Spiegel entzündungshemmender erhöht und den Spiegel entzündungsfördernder Moleküle senkt.

Die Ganzkörperkältetherapie soll auch den Muskelabbau verringern, die Knochenmineraldichte und die Hämoglobinwerte erhöhen und den Spiegel bestimmter Hormone (z. B. der Endorphine, auch Glückshormone genannt) verändern. Die meisten Studien, in denen die zugrundeliegenden Mechanismen untersucht wurden, umfassten jedoch nur eine kleine Anzahl von Teilnehmenden, und die Ergebnisse solcher kleinerer Studien sind nicht sehr zuverlässig.

Es gibt keine wissenschaftlich nachgewiesenen Vorteile der Ganzkörperkältetherapie, jedoch warnen Dermatologen, dass sehr kalte Temperaturen erhebliche Hautschäden verursachen können. Zu den Hautverletzungen, über die im Zusammenhang mit der Ganzkörperkältetherapie berichtet wurde, gehören Erfrierungen, erfrorene Gliedmassen und Hautausschläge. Weitere mögliche Nebenwirkungen dieser extremen Kältebehandlung sind Ersticken, plötzlicher und vorübergehender Gedächtnisverlust und Augenverletzungen.

Eine Studie zur Ganzkörperkältetherapie für Long COVID wurde zurückgezogen.

Trotz fehlender wissenschaftlicher Belege für ihren klinischen Nutzen behaupten Befürworter der Ganzkörperkältetherapie, dass sie auch einige Symptome von Long COVID verbessern könnte.

Ein im Jahr 2022 veröffentlichter Artikel erregte (zumindest unter Interessierten) Aufmerksamkeit, weil er nahelegte, dass die Ganzkörperkältetherapie bei Long COVID-Patientinnen zur Wiederherstellung des Geruchsinns beitragen könnte. In dieser kleinen Pilotstudie wurden 45 Patienten (32 Frauen, 13 Männer) mit Hyposmie (verminderter Geruchssinn) oder Anosmie (Geruchsverlust) in drei Gruppen eingeteilt: eine niedrig-Dosis Gruppe, die an zwei aufeinanderfolgenden Tagen eine Sitzung pro Tag erhielt, eine hoch-Dosis Gruppe, die an fünf aufeinanderfolgenden Tagen eine Sitzung pro Tag erhielt, und eine Kontrollgruppe (keine Behandlung).

Die Ergebnisse zeigten, dass die Ganzkörperkältetherapie sicher war und bei keinem der Teilnehmenden unerwünschte Nebenwirkungen auftraten. Eine Woche nach der Behandlung berichteten die Teilnehmenden der hochdosierten Gruppe über eine deutliche Verbesserung ihres Geruchssinns im Vergleich zu den Teilnehmenden der Kontrollgruppe. Obwohl diese Ergebnisse zunächst vielversprechend aussahen, wurde der Artikel kurz nach seiner Veröffentlichung zurückgezogen. Die Autoren beantragten die Rücknahme des Artikels selbst, da sie keine ausreichende Ethikgenehmigung erhalten hatten. 

Eine Rücknahme ist eine ernste Angelegenheit bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen und bedeutet oft, dass die Ergebnisse aufgrund von Fehlverhalten oder Fehlern in der Forschung als nicht mehr vertrauenswürdig angesehen werden. Trotz der Rücknahme sind die meisten dieser Artikel immer noch im Internet zu finden und verbreiten weiterhin falsche Informationen. Es ist daher wichtig, dass wir immer die Quelle des Artikels überprüfen und Sensationsmeldungen skeptisch gegenüberstehen.

 

Confidence Level of Publications De V2

Vertrauenslevel verschiedener Publikationsformen.

 

Geringfügige Beweise: Fallberichte

Der potenzielle Nutzen der Ganzkörperkältetherapie zur Behandlung der Symptome von Long COVID wurde auch in Fallberichten untersucht. Ein Fallbericht ist eine detaillierte Beschreibung der Symptome, der Diagnose, der Behandlung und der Nachsorge bei einem einzelnen Patienten. Obwohl sie einige vorläufige Beweise liefern können, gelten Fallberichte als die niedrigste Stufe der wissenschaftlichen Evidenz und können die Wirksamkeit einer Therapie nicht belegen.

Der erste Artikel berichtet über Veränderungen der körperlichen und geistigen Funktionen von sieben Long COVID-Patientinnen, die sich einer Ganzkörperkältetherapie unterzogen (zehn Sitzungen innerhalb von zwei Wochen). Die Patienten erhielten auch andere Massnahmen wie Physiotherapie, körperliche Bewegung, ein Ernährungsprogramm und psychologische Unterstützung. Trotz dieser anderen Massnahmen behaupteten die Studienautoren, dass die Verbesserungen in Bezug auf Lebensqualität, Schlaf, Stimmung, Müdigkeit, Atemnot und Schmerzen hauptsächlich auf die Ganzkörperkältetherapie zurückzuführen waren.

In einem anderen Fallbericht wird ein 75-jähriger Mann mit Long COVID beschrieben, der nach der ersten zweiminütigen Sitzung der Ganzkörperkältetherapie Verbesserungen bei der Atmung und der Schlafqualität feststellte. Da er auch eine Reihe anderer Massnahmen zur Behandlung von Long COVID erhielt, kann in diesem Bericht nicht festgestellt werden, inwieweit die Ganzkörperkältetherapie für die beobachteten Verbesserungen verantwortlich war. Die Autorinnen sind jedoch der Ansicht, dass die Kältebehandlung der Wendepunkt für die Verbesserung seiner Symptome war.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es derzeit keine Forschungsergebnisse gibt, die den Einsatz der Ganzkörperkältetherapie zur Behandlung von Long COVID unterstützen. Obwohl einige Fallberichte und anekdotische Hinweise darauf hindeuten, dass bestimmte Patienten mit Long COVID von diesem Verfahren profitieren könnten, sind hochwertige klinische Studien erforderlich, um die positiven Auswirkungen der Ganzkörperkältetherapie zu ermitteln. Bislang ist diese Behandlung für Patientinnen mit Long COVID noch nicht bewiesen und kann sogar mit Risiken verbunden sein.