In der Blog-Kategorie "Aus unserer Community" wollen wir Behandlungen ansprechen, die von Long COVID Betroffenen und Gesundheitsfachpersonen kontrovers diskutiert werden. Im Altea-Forum, in Stories und in Diskussionen mit Betroffenen, haben wir eine Reihe von Behandlungsvorschlägen gesehen, die (noch) nicht offiziell empfohlen werden. Um die Sicherheit und Wirksamkeit dieser Behandlungen beurteilen zu können, schauen wir uns die Wissenschaft dahinter an. Unser Ziel ist es, einen Überblick über die verfügbare Evidenz zu geben, zu bewerten, ob die vorhandenen Daten zuverlässig sind oder nicht, und zusammenzufassen, welche Risiken mit diesen Behandlungen verbunden sein könnten. In diesem Blog analysieren wir die Wirksamkeit von Sauerstofftherapien.
Was ist hyperbare Sauerstofftherapie (HBOT)?
Die Luft, die wir atmen, enthält normalerweise 21 % Sauerstoff. Bei der hyperbaren Sauerstofftherapie (HBOT) wird in einer unter Druck stehenden Umgebung (in der Regel in einer Überdruckkammer) 100 % Sauerstoff eingeatmet. Die HBOT wird seit Jahrzehnten eingesetzt und ist eine Behandlungsmethode für verschiedene Erkrankungen, darunter nicht heilende Wunden, Dekompressionskrankheit bei Tauchern, Kohlenmonoxidvergiftung, Hör- und Sehverlust, Strahlenschäden und bestimmte Arten von Infektionen. Jedoch wird dieses Verfahren zur Behandlung von COVID-19 und Long COVID noch von Zulassungsbehörden wie der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) oder der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) geprüft.
Die HBOT ist für die meisten Menschen sicher, aber es gibt potenzielle Risiken, die mit dem Verfahren verbunden sind, darunter Ohren- und Nasennebenhöhlenschmerzen, Mittelohrverletzungen, vorübergehende Sehveränderungen und (selten) einen Lungenkollaps. Die hohen Sauerstoffkonzentrationen bei der HBOT stellen ausserdem eine Brandgefahr dar, weshalb die HBOT nur in akkreditierten Einrichtungen durchgeführt werden sollte.
HBOT verbessert die Herzfunktion, wie eine kleine Studie ergab
Aufgrund ihrer Sicherheit und Wirksamkeit bei einigen Erkrankungen wurde die HBOT zu einer attraktiven Therapie für die Behandlung einiger Symptome von Long COVID. So deutet eine kleine randomisierte kontrollierte Studie darauf hin, dass die HBOT bei Long COVID-Patientinnen mit eingeschränkter Herzfunktion von Nutzen sein kann. An der Studie nahmen 29 Patienten teil, die drei Monate nach der Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus an einer Myokarddeformation litten, die sich als reduzierte globale Längsdehnung (GLS) zeigte. Die GLS ist ein Mass für die Längskontraktion und -entspannung des Herzmuskels, die in einem Echokardiogramm (EKG) nachgewiesen werden kann.
Von den 29 Patienten erhielten 16 eine HBOT (40 Sitzungen über acht Wochen) und 13 eine Scheinbehandlung (normale Luft). Bei den 16 Patienten, die mit echter HBOT behandelt wurden, verbesserte sich die Herzfunktion im Vergleich zu den Patienten der Kontrollgruppe erheblich. Obwohl diese Ergebnisse ermutigend sind, kamen die Studienautorinnen zu dem Schluss, dass weitere Untersuchungen erforderlich sind, um die langfristigen Ergebnisse zu bewerten und festzustellen, welche Patientinnen am meisten profitieren.
HBOT könnte kognitive Symptome verbessern.
Die HBOT wurde auch bei Long COVID-Patientinnen mit Fatigue und kognitiven Schwierigkeiten untersucht. Eine kleine randomisierte kontrollierte Studie aus dem Jahr 2022 zeigte, dass Patienten, die mit HBOT behandelt wurden, über Verbesserungen bei Brain Fog, Gedächtnis und Aufmerksamkeitsfähigkeit berichteten. Die Studie umfasste 37 Patientinnen, die eine Therapie erhielten, und eine Kontrollgruppe von 36 Patientinnen, die keine Therapie erhielten. Die Behandlungsgruppe berichtete nach 40 täglichen HBOT-Sitzungen von mehr Energie, besserem Schlaf, weniger Schmerzen und weniger psychiatrischen Symptomen. In der Kontrollgruppe gab es keine bemerkenswerten Verbesserungen dieser Symptome.
In dieser Studie verwendeten die Forscherinnen Magnetresonanztomographie (MRT) vor und nach der Therapie, um festzustellen, ob sich im Gehirn der Patienten nach der HBOT Veränderungen zeigten. Interessanterweise ergaben die Analysen der MRT-Scans deutliche Veränderungen in einigen Teilen des Gehirns, die an kognitiven Aktivitäten beteiligt sind. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die HBOT die Hirnfunktion verbessern kann, indem sie die Durchblutung und die Neuroplastizität (die Fähigkeit des Gehirns, sich zu verändern und anzupassen) in Bereichen erhöht, die für das Denken und die Emotionen wichtig sind.
Die Studie weist jedoch einige wichtige Nachteile auf. Insbesondere wurden die Patienten nur bis zu drei Wochen nach der letzten Sitzung untersucht, was bedeutet, dass ein möglicher langfristiger Nutzen oder Schaden durch die HBOT unklar bleibt.
Längerfristige Auswirkungen der HBOT
Positive Ergebnisse wurden auch aus einer klinischen Pilotstudie berichtet, die von einer österreichischen Forschergruppe durchgeführt wurde. In dieser Studie wurden die unmittelbaren und langfristigen Auswirkungen der HBOT bei 59 Patienten mit Long COVID untersucht, die zehn aufeinander folgenden HBOT-Sitzungen erhielten. Die Patienten beantworteten standardisierte Fragebögen zu ihrem Gesundheitszustand vor der ersten und nach der letzten HBOT-Sitzung, sowie drei Monate danach.
Nach der Behandlung berichteten die Patienten über signifikante Verbesserungen in mehreren Bereichen. Dazu gehörten eine bessere körperliche Aktivität und soziale Interaktion, ein höheres Energieniveau und weniger Schmerzen. Die Verbesserungen bei den körperlichen Aktivitäten und der sozialen Interaktion hielten auch noch nach drei Monaten an.
Ähnlich wie die vorangegangene Studie weist auch diese Studie einige Schwächen auf, darunter die geringe Zahl der teilnehmenden Patienten. Das macht es schwierig, eindeutige Schlussfolgerungen über die Wirksamkeit der HBOT zu ziehen. Klinische Studien sollten eine ausreichende Anzahl von Patientinnen einbeziehen, um zuverlässig nachweisen zu können, ob ein Eingriff wirksam ist.
Intermittierende Hypoxie-Hyperoxie-Behandlung (IHHT) bei Long COVID
Die intermittierende Hypoxie-Hyperoxie-Behandlung (IHHT) wurde als eine weitere mögliche Therapie für Patientinnen mit Long COVID vorgeschlagen. Bei diesem Verfahren wird in Phasen abwechselnd Luft mit niedrigem Sauerstoffgehalt (Hypoxie; etwa 10 % Sauerstoff) und Luft mit hohem Sauerstoffgehalt (Hyperoxie; 30-40 % Sauerstoff) eingeatmet.
Eine kleine Studie gibt Hinweise darauf, dass die IHHT bei gesunden Probanden hohen Alters die sportliche Leistung steigern kann, während sie bei Patientinnen mit Herzinsuffizienz (ein Zustand, bei dem das Herz nicht genügend Blut pumpt) die Herz- und Lungeneffizienz, die Herzgesundheit und die Fähigkeit zur körperlichen Betätigung verbessert. Einige frühe Studien zur IHHT haben auch bei Patienten mit Long COVID vielversprechende Ergebnisse gezeigt. So zeigen erste Daten, dass die IHHT die funktionelle Kapazität und die Lebensqualität von Long COVID-Patienten verbessern könnte, die in ein stationäres Rehabilitationsprogramm aufgenommen wurden. Die funktionelle Kapazität ist die Fähigkeit einer Person, Aufgaben und Aktivitäten des täglichen Lebens auszuführen.
Beim intermittierenden Hypoxie-Hyperoxie-Training (IHHT) wird abwechselnd Luft mit niedrigem Sauerstoffgehalt (Hypoxie) und hohem Sauerstoffgehalt (Hyperoxie) geatmet. Bei der hyperbaren Sauerstoffbehandlung (HBOT) atmen die Patienten konstant 100 % Sauerstoff ein.
Aus unserer Community
Mitglieder unserer Community berichten von der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln im Zusammenhang mit ihrer Sauerstofftherapie. Bemerkenswert ist, dass in keiner der erwähnten Studien eine Nahrungsergänzung hinzugefügt wurde. Ausserdem wird die Mehrschritt-Sauerstofftherapie nach Ardenne in der deutschsprachigen Alternativmedizin häufig erwähnt. Wir konnten jedoch keine international begutachteten Daten zu dieser speziellen Therapieform und keine Veröffentlichungen seit den 1990er Jahren finden.
Vielversprechend, aber nicht für jeden geeignet
Insgesamt handelt es sich bei der HBOT um ein komplexes und nicht vollständig verstandenes Verfahren, das derzeit von den Zulassungsbehörden nicht für die Behandlung von Long COVID zugelassen ist. Erste Studienergebnisse sind vielversprechend, es werden aber sowohl für HBOT, als auch IHHT weitere Untersuchungen in grösseren, hochwertigen klinischen Studien mit einer längeren Nachbeobachtungszeit benötigt. Bislang liegen noch nicht genügend Informationen darüber vor, wie wirksam sie ist, wie lange ihre Wirkung anhält und ob sie für Patientinnen mit Long COVID eine sichere Behandlung darstellt. Aus diesen Gründen ist die HBOT nur privat und zu hohen Kosten erhältlich.
Einige Patienten mit spezifischen Ursachen für Long COVID könnten von der HBOT profitieren, aber für viele könnte sie einfach nicht funktionieren oder sogar ungeeignet sein: Patienten mit einer kollabierten Lunge, hohem Fieber, bestimmten Ohren- und Augenerkrankungen oder Patienten, die bestimmte Medikamente erhalten, sollten nicht behandelt werden. Wie bei allen experimentellen Therapieformen, ist eine Überwachung und Beratung durch medizinisches Fachpersonal unabdingbar, um das Risiko unerwünschter Nebenwirkungen zu minimieren.