Update: Warum Frauen häufiger unter Long COVID leiden

Update: Warum Frauen häufiger unter Long COVID leiden

Frauen sind häufiger von Long-COVID betroffen. Forschende erklären sich das durch die unterschiedliche Immunantwort von Männern und Frauen.

Schon wenige Monate nachdem die ersten Fälle von Long COVID bekannt wurden, zeichnete sich die Vermutung ab, dass Frauen häufiger betroffen sind als Männer. Inzwischen konnte in mehreren Studien bestätigt werden, dass das weibliche Geschlecht einer der wichtigsten Risikofaktoren für Long COVID ist. Die genauen Zahlen um wie viel höher das Risiko für Frauen ist an Long COVID zu erkranken unterscheiden sich teilweise je nach Studienpopulation. Eine umfangreiche Studie in Spanien und eine Metaanalyse von 16 Publikationen zu diesem Thema berichteten einen Risikoquotienten von ca. 1.5. Das heisst, dass Frauen ein 1.5-fach höheres Risiko haben an Long COVID zu erkranken.

 

Vor allem Frauen mittleren Alters

Bereits im Juni 2020 beobachteten Forscher in Frankreich, dass Frauen – im Wesentlichen Frauen um die 40 Jahre ohne relevante medizinische Erkrankungen – ein vier Mal grösseres Risiko haben, dass ihre COVID-19-Symptome nicht vollständig abklingen. In 2021 haben Langzeitbeobachtungen von COVID-19-Infizierten in, den USA, Grossbritannien, Russland und Bangladesh bestätigt, dass Frauen im jungen bis mittleren Alter überproportional häufig? betroffen sind.

 

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Plötzlich Konzentrationsschwierigkeiten und «Brain Fog»: Auch das ist eines der Symptome von Long COVID. Frauen leiden häufiger darunter. (Symbolbild: Adobe Stock)

 

Eine britische Untersuchung zeigt, dass Frauen unter 50 Jahren berichteten, sich nach einer COVID-19-Infektion fünfmal seltener erholt zu fühlen, doppelt so häufig über Erschöpfung klagten, siebenmal mehr unter Kurzatmigkeit zu leiden und häufiger körperlich beeinträchtigt zu sein als Männer gleichen Alters. Eine andere britische Studie bestätigte, dass sich Frauen nach einer Hospitalisierung weniger schnell erholten als Männer.

 

Weniger akut, dafür langwieriger

Studienautor Chris Brightling vermutet, dass geschlechtsspezifische Unterschiede in der Immunreaktion dafür verantwortlich sind, dass Frauen eher unter länger anhaltenden Entzündungsreaktionen und Long-COVID-Symptomen leiden. Männer hingegen haben zwar eine höhere Wahrscheinlichkeit für einen schwereren akuten oder sogar tödlichen Verlauf, leiden aber seltener unter Langzeitfolgen. Eine im Mai 2023 an der internationalen Jahreskonferenz der «American Thoracic Society» vorgestellte Studie, bestätigt ebenfalls, dass Frauen deutlich häufiger von langfristigen Einschränkungen betroffen waren als Männer. Dabei schien es keinen merklichen Einfluss auf die Genesung zu haben, ob die akute Infektion schwer verlief.

Die Vermutung: Unterschiede bei den Genen und Hormonen könnten für die Unterschiede verantwortlich sein.

Autoimmunerkrankungen sind bei Frauen viermal häufiger als bei Männern. Das könnte damit zusammenhängen, dass die Immunantwort bei Frauen sowohl wegen der Gene als auch der Hormone stärker ist als bei Männern. Viele Gene, die das Immunsystem regulieren liegen auf dem X-Chromosom. Dadurch, dass Frauen zwei X-Chromosomen haben, ergibt sich ein grösseres Spektrum an Abwehrmechanismen. Diese können sich bei Autoimmunreaktionen gegen körpereigene Proteine richten. Zusätzlich produzieren Frauen mehr Östrogen als Männer und dafür weniger Testosteron. Östrogen stimuliert die Immunantwort und beeinflusst den Stoffwechsel.

 

Weniger Unterschiede nach der Menopause

Frauen produzieren zudem mehr Östrogen, welches Entzündungen verstärken kann, und höhere Mengen eines Proteins, welches zu einer Überreaktion des Immunsystem führen kann. Interessanterweise gleicht sich das Risiko für Long COVID zwischen Mann und Frau ab 60 Jahren an. Auch das ist ein Hinweis darauf, dass Hormone eine Rolle spielen, weil bei Frauen nach der Menopause der Östrogenspiegel sinkt.

Es ist zweischneidig: Was Frauen vor einem schweren Verlauf schützt, begünstigt dafür anscheinend Langzeitfolgen.

In den USA hat die Immunologin Akiko Iwasaki viel Zeit investiert, um die Unterschiede zwischen der Reaktion von Männern und Frauen auf das Sars-CoV-2-Virus zu entschlüsseln. Eine ihrer ersten Erkenntnisse war, dass T-Zellen – Immunzellen, die infizierte Zellen aufspüren und zerstören – in den frühen Stadien der Infektion bei Frauen viel aktiver sind als bei Männern. Die stärkere Reaktion der T-Zellen rettet den Frauen das Leben. Sie kann jedoch das Immunsystem auch dazu bringen, sich selbst anzugreifen.

Dabei können sich Fragmente des Virus im Gewebe festsetzen. Womöglich können diese Fragmente chronische Entzündungen im ganzen Körper und damit ein lang anhaltendes Syndrom auslösen, so Forscher Noah Greenspan, der Long COVID bei Studierenden in den USA untersucht hat.

Dass Männer trotz gleichem Infektionsrisiko eher schwere Symptome entwickeln, hospitalisiert werden und sterben, zeigten amerikanische Forscher bereits Ende 2020. Die Forscher erklärten sich den weiblichen Vorteil bei der akuten COVID-19-Erkrankung ebenfalls mit Geschlechtsunterschieden im Immunsystem.

 

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Männer haben ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf bei COVID-19. An Langzeitfolgen leiden sie jedoch seltener. (Symbolbild: Adobe Stock)

 

Hinweise auf Geschlechtsunterschiede sind bereits aus Studien zur chronischen Erschöpfung bekannt, welche bei Frauen viermal häufiger auftritt. Bei weiblichen Betroffenen wurde festgestellt, dass sie häufiger an autoimmunbedingten Beschwerden leiden, welche von neuen Allergien bis hin zu Muskelsteifheit und Gelenkschmerzen reichen – und meist ein ähnliches Symptomprofil aufweisen wie bei Long COVID. Es könnte sich hier also ein generelles Muster zeigen: Frauen sind aufgrund ihres Immunsystems besser vor schweren Infekten geschützt, haben dafür aber ein höheres Risiko, längerdauernde Beschwerden zu entwickeln.