«Long COVID ist eine Alltagsbegleitung. Wir sind keine guten Freunde. Aber wir lassen uns heute in Ruhe», so beschreibt Jean-Luc Hadey seinen Umgang mit dem Syndrom. Der Käseaffineur aus der Ostschweiz ist von Natur aus sehr leistungsgetrieben. Es sei deshalb auch heute noch manchmal schwer zu akzeptieren, dass gewisse Dinge nicht mehr gehen oder mehr Zeit in Anspruch nehmen. «Aber sie gehen anders!», fügt er an.
Jean-Luc Hadey liebt die Berge. Er könne zwar beispielsweise nicht mehr Bergwandern, aber er könne im Flachen neue Wege entdecken. «Das ist sensationell», sagt er lächelnd. Zudem mache einem Long COVID in gewissem Masse gelassener: «Wenn der Bus bereits dasteht, weiss ich, dass ich nicht rennen muss (oder kann). Ich lasse mich viel weniger stressen.» Auf der anderen Seite gehe aber eine gewisse Spontaneität verloren.
Die Freude an seinem Job als Käseaffineur steht Jean-Luc Hadey ins Gesicht geschrieben. (Quelle: zVg)
Das Leben umdenken
Solche Aussagen hätte Jean-Luc bis vor Kurzem nicht gemacht. Es brauchte einen Crash, um zur Einsicht zu kommen, dass er sein Leben umdenken muss. «Es war ein normaler Tag. Ich war in Zürich und kam nach Hause. Als ich die drei Stockwerke in meine Wohnung lief, war ich völlig ausser Atem. Ich legte mich aufs Sofa und dann ging gar nichts mehr.»
Jean-Luc’s Long-COVID-Geschichte beginnt einige Monate zuvor. Wo er sich angesteckt hat, weiss er nicht. Die Symptome waren grippeartig, er hatte Kopf- und Gliederschmerzen. Nach etwa drei Wochen kam der Verlust des Geschmack- und Geruchsinns hinzu. «Das war sehr schwierig für meinen Beruf als Käseaffineur und Food-Scout. Um die Moral aufrechtzuerhalten, habe ich trotzdem genau gleich gekocht wie vorher», berichtet er. Mittlerweile hat er die Sinne zum Glück zurück.
«Man wird zum Spezialisten im Energiesparen.»
«Ich wollte es selbst schaffen»
Hadey hat schnell gemerkt, dass er nicht mehr die gleiche Leistung erbringen konnte wie vor der Infektion. Mit der Zeit sind extreme Müdigkeit und Atembeschwerden hinzugekommen. «Es war zermürbend», beschreibt er diese Erfahrung. Schliesslich entschied er sich, seinen Hausarzt aufzusuchen. Dieser hat ihm das ambulante Long-COVID-Programm der Rehaklinik Valens nahegelegt. Erst nach zwei weiteren Monaten ohne Verbesserung entschied Hadey sich schliesslich dafür.
«Ich hätte es früher tun sollen. Aber das lernt man erst im Nachhinein», reflektiert er heute. Anfang Juni letzten Jahres besuchte er schliesslich die erste wöchentliche Long-COVID-Therapie. «Insbesondere in der Ergotherapie habe ich viele einfache Alltagstipps erhalten», so Hadey. Zum Beispiel habe er jetzt immer einen Rucksack dabei, habe sich einen Gehstock gekauft, laufe einen Weg zum Einkaufen und nehme für den Rückweg den Bus und plane explizite Pausen in seinen Alltag ein. «Man wird quasi zum Spezialisten im Energiesparen.»
«Ich wollte möglichst schnell wieder voll einsatzfähig sein.»
Warnsignale ausgeblendet
So ging es ihm zwar langsam, aber stetig besser. Was aber auch schnell wieder ins Spiel kam war der Leistungsdruck, den er sich selbst machte. «Ich liebe meinen Job, ich mag den Lieferantenkontakt. Deshalb wollte ich möglichst schnell wieder voll einsatzfähig sein.» So hat Hadey sein Arbeitspensum laufend weiter erhöht, bis auf 80 Prozent.
Die Warnungen seiner Arbeitskollegen und seiner Familie, dass er reizbar sei und nicht gut schlafe, hat er ignoriert. «Ich sagte ja, machte aber was anderes.» Er dachte, in den Ferien in Florida könne er sich dann erholen. Dazu sollte es aber nicht kommen – der Crash kam vorher und er musste den für Februar geplanten Flug stornieren. Seither hat Hadey bewusst einen Gang runtergeschaltet und lässt Leistungsdruck Leistungsdruck sein. Einen weiteren Crash will er nicht mehr riskieren.
«Jetzt höre ich auf mein Herz und lasse nicht mehr nur mein Ego entscheiden.»
Akzeptanz ist das A und O
«Ich höre jetzt auf mein Herz und lasse nicht mehr nur mein Ego entscheiden», erklärt Hadey. «Die Werkzeuge, um mein Leben anders zu gestalten, sind mir durch die Reha in Valens bereits mitgegeben worden. Ich muss sie nur konsequent umsetzen.» Er habe aber seit dem Crash einen Psychiater mit ins Boot geholt, der ihm helfe, die Situation zu akzeptieren und nicht zu schnell zu viel zu wollen.
Hadey betont, dass man sich dafür keinesfalls schämen müsse. Wenn man ein Problem mit dem Auto habe, gehe man zum Automechaniker. Wenn man seine Gedanken ordnen müsse, hole man sich psychologische oder psychiatrische Unterstützung. Mindestens genauso wichtig seien das Verständnis und der Support, den er von seiner Familie, Freunden und dem Arbeitgeber erhält. «Dafür bin ich ausserordentlich dankbar.»