Das Telefon hatte schon einige Male geklingelt, als Herr Schmied den Hörer etwas atemlos ergriff und antwortete. Er sei gerade sehr beschäftigt gewesen, da er die letzten zwei Tage an der Swiss Handicap Messe in Luzern zwei Kurzreferate im Bereich der Depression halten durfte. Als Präsident des Vereins «GLEICH UND ANDERS Schweiz», welcher die Förderung der psychischen Gesundheit aller bezweckt und unterstütz, ist er ein gefragter Mann.
Nebenbei arbeitet er noch 40% als Peer-Mitarbeiter. Darunter versteht man Menschen, die sich von einer psychischen Erkrankung erholt haben und durch ihre Erfahrungen nun anderen Betroffenen helfen. Er war schon immer ein vielbeschäftigter und leistungsorientierter Mensch und führte so unter anderem auch sein eigenes Hotel mit 22 Mitarbeitern, bevor ihn ein schwerer, unverschuldeter Verkehrsunfall jäh aus dem Hier und Jetzt riss.
«Inmitten meines posttraumatischen Belastungssyndrom erkrankte ich an COVID»
Der Körper erholte sich vom Unfall und die Wunden verheilten, doch die Psyche hatte von da an mit einer schweren Depression, welches sich in ein posttraumatisches Belastungssyndrom entwickelte (PTBS), zu kämpfen. Ein PTBS kann sich direkt nach einem einschneidenden Ereignis, manchmal auch erst Jahre später entwickeln. Oft ziehen sich solche Menschen dann zurück oder werden desinteressiert und fühlen sich fremd in ihrem eigenen Leben und versuchen dabei, das belastende Ereignis zu verdrängen.
Es begann ein körperlich sehr anspruchsvoller Weg
Im Januar 2021 erfuhr Herr Schmied dann von seiner COVID-19 Infektion. Es sollte ein langer und vor allem harter Weg werden – einmal mehr! Er verbrachte 21 Tage in der Isolation, erlitt eine Lungenembolie und musste schlussendlich im Spital mit Sauerstoff versorgt werden. Heute ist er glücklich darüber, dass er nicht intubiert wurde.
«Psychosomatische Symptome in Kombination mit Long COVID – das war zu viel!»
Herr Schmied erholte sich langsam und obwohl er unter anderem immer noch mit Fatigue zu kämpfen hatte, war sein Kopf stärker und so begann er viel zu früh wieder zu arbeiten. Der Start in die Arbeitswelt nach seiner COVID Infektion schien geglückt und die PTBS-Symptome hatte er einigermassen im Griff. Knapp 10 Monate später, Ende November 2021, kam dann aber der grosse Crash, bei welchem nichts mehr ging.
«Ich begann viel zu früh wieder zu arbeiten»
Aufgrund der Symptomatik wurde erst ein Burnout vermutet. Untersuchungen beim Spezialisten zeigten dann aber eine Lungenunterfunktion im linken Lungenflügel, welcher durch Corona hervorgerufen wurde. Mit der Diagnose Long COVID mit Fatigue und Depression wurde Herr Schmied daraufhin in die Klinik Barmelweid eingeliefert.
Der Aufenthalt in der Klinik Barmelweid hat Herrn Schmied Schritt für Schritt wieder ins Leben zurückgebracht. Nebst einer Long COVID Sprechstunde, besuchte er auch Gruppenstunden für Psychoedukation oder war Teil einer Gruppe, in welcher sie sich mit den Empfindungen Angst und Panik auseinandersetzten. Seine psychosomatischen Beschwerden wurden mit kreativen Ansätzen angegangen und so besuchte er Maltherapien oder war in der Ergotherapie anzutreffen. Die Erkenntnis und das Bewusstsein, nicht der Einzige zu sein, war dabei sehr wertvoll.
Mit Hilfe von Kichererbsen zur Resilienz
Während seiner Therapien in der Klinik übte sich Herrn Schmied zusätzlich in Selbstreflexion und Selbstfürsorge, um für mehr Resilienz in seinem Alltag zu sorgen. Um dies zu erreichen, eignete sich Herrn Schmied den Trick mit den 10 Kichererbsen an, welcher er auch heute noch erfolgreich einsetzt. 10 Kichererbsen, die ihn täglich ermahnen, wie wichtig es ist, seine eigenen Grenzen zu kennen und zu wissen, wie es sich verhindern lässt, diese Grenzen zu überschreiten.
«Ich lehrte mich in Selbstfürsorge und Selbstreflexion»
Der Trick mit den 10 Kichererbsen oder «die Glückskugeln»
Seine «Glückskugeln» respektive die 10 Kichererbsen trägt Herrn Schmied jeden Tag in seiner linken Hosentasche. Diese sollen ihm bei Grenzüberschreitungen als Hilfsmittel dienen. Wenn er merkt, dass er sich in einer Situation verausgabt und an seine Grenzen gekommen ist, legt er eine Kichererbse von der linken in die rechte Hosentasche.
«Am Abend gibt es jeweils eine Auslegeordnung»
Am Abend zählt er die jeweiligen Kichererbsen in der linken und rechten Hosentasche und lässt den Tag dann jeweils in Ruhe noch einmal Revue passieren. Dies gibt ihm Zeit, die «besonderen Ereignisse» respektive die Situation, in welcher er «übertrieben» hat zu analysieren und überlegt sich, wieso er die Kichererbse von der einen in die andere Hosentasche wechselte. Somit kann er das Pacing oder die Energiereserve für ein erneutes Auftreten dieser spezifischen Situation genauer planen.
«Meine Glückskugeln habe ich immer dabei: Sie erinnern mich daran, auf meinen Körper zu hören und meine Grenzen zu erkennen.»
Die Wichtigkeit von Selbstreflexion und Selbstführsorge
Herr Schmied kennt die Frühwarnzeichen seiner Grenzüberschreitungen mittlerweile sehr gut und ist davon überzeugt, dass wenn er diesen Frühwarnzeichen keine Achtsamkeit schenkt, lässt der nächste Crash nicht lange auf sich warten. Er arbeitet heute als Peer-Mitarbeiter mit einem 40%-Pensum und stösst dabei immer wieder mal an seine Grenzen. Zusätzlich trägt er mit den Patienten eine grosse Verantwortung, sodass er sich immer wieder zu Pausen zwingen muss oder vom Chefarzt persönlich darauf aufmerksam gemacht wird. Und wenn dem alles nichts nützt, wandert eine Kichererbse von der linken in die rechte Hosentasche und erinnert Herrn Schmied einmal mehr an die Wichtigkeit der Selbstführsorge und der Selbstreflexion in seinem Alltag.