Die genaue Erfassung von Long-COVID-Zahlen ist schwierig, weil sich nicht alle Betroffenen an eine offizielle Stelle wenden oder im Stillen mit Symptomen kämpfen. Schätzungen zufolge leiden je nach Virusvariante 10 bis 20 Prozent der Personen mit einer diagnostizierten Corona-Infektion an verschiedenen mittel- bis langfristigen Folgen. Von diesen Zahlen geht man auch in der Schweiz aus.
Nun hat das Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) der University of Washington in den USA eine Modellierung der Europa- und weltweiten Long-COVID-Zahlen durchgeführt. Wichtig ist, dass eine Modellierung nicht effektive Zahlen repräsentiert, sondern eine Schätzung darstellt. In einem (Englisch) fasst IHME-Direktor Christopher Murray die wichtigsten Punkte zusammen.
«Erschütternder» Anstieg von 307%
Diese Modellierung zeigt, dass mindestens 17 Millionen Menschen in allen 53 Mitgliedstaaten in der Europäischen Region der WHO an Long COVID leiden oder litten. Weltweit sind es fast 145 Millionen Menschen, die in den ersten zwei Jahren der Pandemie von einem der drei Symptom-Cluster (siehe Infobox) betroffen waren.
Dies entspricht einem Anstieg von 307% ab Ende 2020, als die Corona-Fallzahlen zu steigen begannen, und im gesamten Verlauf des Jahres 2021.
Einen Lichtblick bietet ein Preprint im British Medical Journal, das auf der gleichen Modellierung basiert und zeigt, dass sich zwölf Monate nach der Infektion noch rund 15 Prozent nicht vollständig erholt haben. Bei der Mehrheit der Betroffenen gehen die Symptome also wieder zurück. Dennoch ist der Anteil jener, die längerfristig leiden, angesichts der Infektionszahlen beträchtlich.
Erhöhtes Risiko für Frauen und bei schweren Verläufen
Gemäss Schätzungen des IHME erkranken Frauen doppelt so häufig an Long COVID wie Männer. Es zeigt sich ausserdem, dass schwere Krankheitsverläufe mit Spitaleinweisung das Risiko für Long COVID drastisch erhöhen. Jede dritte Frau und jeder fünfte Mann leidet nach einer Spitaleinweisung an Langzeitfolgen von COVID-19. Keine zuverlässigen Zahlen gibt es bisher dazu, wie sich die Erkrankung bei geimpften im Vergleich zu ungeimpften Populationen manifestiert und inwiefern sich die Erkrankung auf Reinfektionen auswirkt.
Die Länder werden eindringlich gebeten, in Forschung, Genesung und Rehabilitation von Long COVID zu investieren.
Gemeinsame Ziele von WHO und Long COVID Europe
Für die WHO ist klar, dass Regierungen und Gesundheitspartner sich zusammenschliessen müssen, um gemeinsam auf Grundlage von Forschung und Evidenz Lösungen zu finden.
Deshalb hat die WHO zusammen mit Long COVID Europe drei Ziele definiert (3 R’s):
- Anerkennung (Recognition) und verstärkter Wissensaustausch
- Forschung (Research) und Reporting durch Datensammlung und Fallmeldung sowie eine gut koordinierte Forschung
- Rehabilitation, die auf Evidenz und Wirksamkeit basiert
Nur wenn Gesundheitssysteme und staatliche Stellen wissen, wie viele betroffen sind, können entsprechende Rehabilitations- und Unterstützungsangebote entwickelt werden.