«Ich liebe meinen Beruf und würde sehr gerne wieder arbeiten. Es ist wichtig zu verstehen, wie sehr Long COVID Betroffene darunter leiden, wenn sie ihren Beruf nicht mehr ausführen können.» Isabella P. ist mit Leib und Seele Psychologin und ihre Arbeit als klinisch psychologische Diagnostikerin in der eigenen Praxis, im Kinderdorf, und an einer Schule für Erwachsenenbildung waren ein wichtiger Lebensinhalt für sie. Seit ihrer Corona-Infektion im November 2021, kann Isabella ihrem geliebten Beruf jedoch nicht mehr nachgehen.
Sie hatte sich 3 Wochen nach der 3. Impfung mit SARS-CoV-2 infiziert. Ihre Ärzte vermuten, dass die Doppelbelastung für das Immunsystem durch die Impfung plus die Ansteckung möglicherweise dazu beigetragen hat, dass bei Isabella Langzeitfolgen entstanden. Von Anfang an tauchten bei ihr starke Palpitationen (Herzklopfen) auf, die bis heute nicht abgeklungen sind. Nach der akuten Infektion blieb die Psychologin noch lange in Isolation, da sie sich auch nach Wochen noch immer nicht gesund fühlte.
Anhaltende Herz-Kreislaufprobleme und anfängliche Überlastung führten zum Crash
An Heiligabend fuhr sie wegen der anhaltenden Palpitationen und Kreislaufprobleme zur Notfallambulanz. Die dort durchgeführten Untersuchungen am Herz zeigten keine Auffälligkeiten und es wurde die Verdachtsdiagnose Long COVID gestellt.
Obwohl sich ihr Zustand kaum verbesserte, startete Isabella im Januar 2022 einen Versuch wieder in ihren Beruf einzusteigen. Von Pacing hatte sie bis dahin noch nie gehört. Nach dem Motto «um wieder aktiv zu werden, muss man sich immer wieder neu herausfordern» überlastete sie sich permanent und spürte schnell die Konsequenzen. Unterrichten im Stehen war bald nicht mehr möglich und die Schwindelanfälle wurden häufiger und traten selbst beim Laufen kurzer Distanzen auf.
Isabella startete eine Intervall-Hypoxie-Hyperoxie-Therapie (IHHT), bei der durch eine Sauerstoffmaske abwechselnd sauerstoffarme und sauerstoffangereicherte Luft eingeatmet wird und bekam verschiedene Nahrungsergänzungsmittel inkl. Vitamin C-Infusion. Ihr Zustand verbesserte sich jedoch nicht. Anfang Februar brach sie schliesslich auf dem Rückweg von ihrem Internisten, den sie normalerweise problemlos zu Fuss zurücklegte, zusammen und war anschliessend für 6 Wochen bettlägerig.
Das Stricken und Häkeln sind zwei von Isabellas neu entdeckten Hobbies.
Im April 2022 landete Isabella per Zufall in einem Kurzentrum, statt wie geplant im Rehabilitationszentrum. Hier erkannten die Ärzte und Pflegekräfte schnell, dass Isabella als Long COVID Betroffene vor allem Ruhe braucht. Während sie zu Beginn 2-3 Zusammenbrüche pro Tag erlitt, führten die passiven, beruhigenden Anwendungen innerhalb von 3 Wochen zu einer derartigen Verbesserung, dass sie zum Schluss keine Kreislaufzusammenbrüche mehr hatte und wieder mit Stöcken laufen konnte.
Auch nach der Kur, hielt Isabella streng an ihrem Erholungsplan fest und lernte mit Hilfe von Pacing richtig mit ihren Ressourcen umzugehen. Bis zum Ende des Jahres konnte sie ohne Stöcke laufen und fühlte sich fit genug, um ihren Wiedereinstieg in den Beruf zu planen. Zur Vorbereitung ging sie im Januar 2023 nochmals in ein Rehazentrum.
Der Aufenthalt in der Reha verlief jedoch katastrophal, die Wege am Zentrum waren so weit, dass die Psychologin nach 3 Tagen durch die Überlastung wieder im Rollstuhl sass. Seither ist ihr Leben wieder geprägt von Fatigue, Muskelschwäche und Kreislaufproblemen. Zu Hause kann sie sich zwar bewegen und kommt auf ca. 2000 Schritte am Tag, durchgehende Distanzen über 50 m wie z.B. im Supermarkt sind aber kaum ohne Rollstuhl zu bezwingen.
«Pacing ist am schwierigsten an den Tagen, an denen es einem besser geht.»
Was ihr am meisten hilft, sind Pacing und Pulskontrolle. Schon kleinere Tätigkeiten im Alltag können bei Isabella einen Crash herbeiführen und sie muss stets darauf achten ihren Puls unter 80 Schlägen/Minute zu halten. Umso dankbarer ist sie für die enorme Unterstützung durch ihren Mann, der ihr nicht nur alltägliche Aufgaben abnimmt, sondern auch stets darauf achtet, dass sie ihre Ruhephasen einhält.
Auch eine Kältetherapie kann einen kleinen Aktivitätsschub verleihen – nach einer Behandlung in der Kältekammer fühlt sich Isabella wieder für ein paar Tage fit. Eine langfristige Besserung bringt dies jedoch nicht. Die allgemeine Ratlosigkeit bei Behandelnden wie Betroffenen sorgt oft dafür, dass man immer wieder neu um Hilfe bitten muss und oft die gleiche Antwort bekommt: es gibt noch keine neuen Therapieansätze.
Durch ihre Erkrankung ist Isabella sehr anfällig für Infektionen, sie steckt sich schnell an und jeder Infekt wirft sie um Wochen zurück. Zwischenzeitlich hatte sie dadurch oft mit der Angst vor Kontakten zu kämpfen. «Die Angst vor Infektionen darf nicht überhandnehmen und zur Isolation führen». Ihre engen Freunde wissen inzwischen, dass sie nur zu Besuch kommen, wenn sie sich gesund fühlen und bei öffentlichen Veranstaltungen in geschlossenen Räumen trägt Isabella immer eine Maske, um sich zu schützen.
Vom Fenster aus beobachtet Isabella gerne einen roten Milan. Besonders an schlechten Tagen hilft es ihr, ihm dabei zuzuschauen, wie er sich in Ruhe die Federn putzt.
Als Psychologin rät Isabella anderen Betroffenen, sich auch mal Selbstmitleid zu erlauben. Durch Long COVID sein ganzes Leben umkrempeln zu müssen ist nicht fair. Man muss aber auch diese dunklen Phasen überwinden und wieder lernen die kleinen Freuden des Lebens wahrzunehmen. Wenn ihre Laune besonders schlecht ist, sorgt Isabellas Mann für den nötigen Tapetenwechsel und motiviert sie, das Haus zu verlassen.
Wichtig ist es auch das Pacing ernst zu nehmen und frühzeitig damit anzufangen, Hilfe anzunehmen und sich nicht für die Krankheit zu schämen. Man sollte sich Hobbies suchen, die sich mit dem aktuellen Energielevel gut vereinbaren lassen. So hat Isabella ihre alten Hobbies wie Line Dance, Billiard spielen, Mountainbiken und Wandern durch solche ersetzt, die ihrem neuen Ist-Zustand entsprechen: Stricken, Häkeln, einen roten Milan beobachten oder Escape Room-Brettspiele spielen, sofern es die kognitive Tagesform erlaubt.
Solche systematischen Änderungen im Alltag sind genauso wichtig wie sich Menschen im eigenen Umfeld zu suchen, die einen stärken und auf die man sich verlassen kann. Für Isabella ist es ihr Mann, der ihr diesen Halt gibt. Die Dankbarkeit für seine Hilfe erinnert sie an dunklen Tagen daran, dass sie nicht nur für sich selbst sondern auch für ihn stark sein will und es sich lohnt jeden Tag neuen Mut zu sammeln, um sich Long COVID entgegenzustellen.