Long COVID ist in der weltweiten Forschung derzeit ein hot topic. Doch von wem wird diese Forschung eigentlich gemacht? Zum Beispiel von Vasileios Nittas. Er ist Postdoktorand in Epidemiologie an der Universität Zürich und war selbst von Long COVID betroffen.
Vasileios Nittas, wie waren die Anfänge der Forschung zu Long COVID?
Als wir mit der Forschung begannen, hatten wir noch keine Ahnung, in welche Richtung wir gehen würden. Denn auch wenn man wusste, dass da wahrscheinlich Langzeitfolgen waren, war noch nicht bekannt, was sie bedeuteten. Ich würde den Forschungsansatz als explorativ und intuitiv beschreiben.
Auch heute – zwei Jahre später – ist die Evidenz lückenhaft. Viele Unsicherheiten bleiben. Diese Tatsache wird dadurch verstärkt, dass Long COVID eine Krankheit mit vielen unterschiedlichen Facetten und Symptomen ist. Das macht es umso schwieriger, klare Definitionen zu erstellen.
«Long COVID hat viele unterschiedliche Facetten und Symptome. Das macht die Forschung schwierig, aber auch spannend.»
Ist das nicht manchmal frustrierend?
In der Tat kann das teilweise frustrierend und chaotisch sein. Aber es ist auch aufregend, spannend, und entwickelt sich weiter. Das überwiegt. Ausserdem habe ich immer das Wohl der Betroffenen im Kopf. Ich möchte dazu beitragen, ihr Leben zu verbessern und Behandlungsmöglichkeiten zu finden, um ihnen zu helfen. Schliesslich habe ich am eigenen Leib erfahren, was es heisst, von Long COVID betroffen zu sein. Das motiviert mich heute.
Sie waren selbst von Long COVID betroffen. Wie geht es Ihnen heute und mit welchen Symptomen haben oder hatten Sie zu kämpfen?
Ich gehörte zu den ersten, Langzeitfolgen entwickelten. Damals sprach noch niemand von Long COVID. Die Symptome starteten kurz nach meiner akuten Infektion und haben über mehrere Monate angehalten. Dazu gehörten Empfindungsstörungen, Kribbeln, Benommenheit und Kopfschmerzen. Ich wusste nicht, was mit mir nicht stimmte und liess viele Tests über mich ergehen. Ich bin überzeugt, dass die Behandlung heute koordinierter und besser ablaufen würde.
Die Physiotherapie hat mir geholfen und es geht mir heute viel besser. Die Symptome treten zwar noch ab und zu auf, aber weniger häufig als dies zuvor der Fall war. Long COVID ist wie eine Achterbahn – und so ist auch die Forschung dazu!
«Ich habe immer das Wohl der Betroffenen im Kopf – ich möchte dazu beitragen, ihr Leben zu verbessern.»
Wann haben Sie begonnen, zu Long COVID zu forschen? Vor oder nach Ihrer eigenen Erkrankung?
Das war beides etwa zur gleichen Zeit. Ich hatte die Symptome seit ungefähr drei bis vier Monaten, als ich angefangen habe, an den Long-COVID-Projekten zu arbeiten. Zu diesem Zeitpunkt glaubte ich aber nicht, dass es bei mir Long COVID war. Zu dieser Einsicht bin ich erst später gekommen.
Können Sie mehr zu den Projekten erzählen, an denen Sie arbeiten?
Es gibt grundsätzlich zwei Projekte, in denen ich involviert bin. Das erste Projekt ist ein Report zuhanden des BAG, den wir alle zwei Monate erstellen. Darin fassen wir zusammen, welche neuen Erkenntnisse in Bezug auf Long COVID vorliegen. Wir überprüfen neu erschienene Publikationen, lesen sie und extrahieren die Daten, welche wir für den Report benötigen. Das ist in erster Linie Literatur-Arbeit.
Beim zweiten Projekt geht es darum, Long-COVID-Betroffene in die Forschung einzubeziehen. Dazu haben wir das erste «Citizen Science»-Projekt ins Leben gerufen und gemeinsam mit 30 Betroffenen versucht, die in ihren Augen dringlichsten Forschungsprioritäten im Bereich von Long COVID zu definieren. Das Projekt konnte in der Zwischenzeit abgeschlossen und die Empfehlungen publiziert werden.
«In der Behandlung und Rehabilitation gibt es noch viele Lücken zu schliessen.»
Welches Wissen konnte bisher gewonnen werden?
Um ehrlich zu sein, gibt es noch viele Lücken zu schliessen. Wir wissen, dass etwa 20 Prozent der Personen, die eine COVID-19-Infektion hatten, längerfristige Symptome entwickeln. Dies hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab, wie beispielsweise vorherige Erkrankungen, Schwere der akuten Infektion, Alter…
Wir wissen auch, dass Long COVID eine Krankheit mit tausend Gesichtern ist. Es ist deshalb schwierig zu sagen «das ist ganz bestimmt Long COVID». Dennoch ist über die Symptome bereits vieles bekannt und die Literatur gibt ein relativ klares Bild darüber.
Im Bereich der Prävention und der Behandlung sieht es allerdings anders aus. Dort wissen wir schlicht noch zu wenig, um gute Aussagen machen zu können. Es wurden kürzlich ein paar Papers publiziert, die den Einfluss der Ernährung auf Long COVID untersuchen. Die Evidenz ist aber noch ungenügend, um das spruchreif zu machen. Unser Ziel muss sein, Behandlungen und Rehabilitation zu finden, die das Leben der Betroffenen verbessern.
Was ist für die Zukunft geplant? Gibt es eine internationale Zusammenarbeit?
Die internationale Zusammenarbeit ist von sehr grosser Bedeutung. Wir können viel voneinander profitieren. Die beiden Projekte, für die ich arbeite, konzentrieren sich aber auf die Schweiz. Das Interesse an der Pandemie flacht etwas ab, aber es ist wichtig, dass wir dranbleiben und das Momentum nicht verlieren, um an Long COVID zu forschen. Es ist zu erwarten das bald mehr Studien zum Thema Behandlung und Rehabilitation erscheinen werden. Wir warten alle gespannt!