Auch für Hausärtzinnen ist Long COVID ein Lernprozess

Auch für Hausärtzinnen ist Long COVID ein Lernprozess

Wie ist es eigentlich, als Hausärztin mit Patientinnen mit Long COVID konfrontiert zu sein? Eine Allgemeinpraktikerin erzählt.

«In einer Einzelpraxis wäre es für mich schwieriger gewesen», sagt Sabrina Guggacher*. Die Hausärztin arbeitet in einer Gruppenpraxis. «Dort gibt es einen intensiven Austausch, das hilft.» Guggachers Beispiel zeigt: Nicht nur für Betroffene von Long COVID bringt das neue Syndrom unzählige Herausforderungen mit sich, die so manche und manchen an die eigenen Grenzen bringen dürfte. Auch für Hausärztinnen und Hausärzte ist die Situation mitunter schwierig.

Der Austausch mit Kolleginnen gibt Sabrina Guggacher die Sicherheit, auf dem richtigen Weg zu sein. «Als Hausarzt schwingt eine Angst immer ein bisschen mit: Verpasse ich etwas? Müsste ich sonst noch etwas abklären?», erzählt sie. Da hilft ein gutes Team – und in manchen Fällen eine Zweitmeinung von Spezialisten. 

Froh um die Long-COVID-Sprechstunde 

Die erste Patientin mit Long COVID hatte Sabrina Guggacher im September 2020. «Damals war Long COVID noch kein grosses Thema. Also hat man sich auf die Suche gemacht, die Lunge, das Herz abgeklärt», berichtet sie. Als einige Monate später verschiedene Spitäler Long-COVID-Sprechstunden eröffneten, war das auch für die Hausärztin eine Erleichterung. Sie schickte ihre beiden Patientinnen mit Long COVID dorthin und war froh, die Bestätigung zu bekommen, dass ihr keine Fehler unterlaufen waren.

«Die Patientinnen haben diese Sprechstunde als positiv empfunden», sagt Guggacher. «Dort arbeiten auch Leute, die selbst betroffen sind und deshalb eigene Erfahrungen einbringen.» Nach dem Termin bei den Spezialisten bleibt Sabrina Guggacher dann für die langfristige Betreuung zuständig. «Meine Rolle als Hausärztin ist dann eher, den Elan zu bremsen. Es ist wichtig, sich nicht auszupowern, Pausen einzurechnen», berichtet sie. 

Ein Todesfall und zweimal Long COVID 

Die meisten Fälle von COVID-19, die Sabrina Guggacher betreute, verliefen mild, worüber sie sehr froh ist. Ein Patient verschlechterte sich rapide und verstarb innerhalb von drei Tagen auf der Intensivstation. «Das war meine schlimmste Erfahrung mit Corona.» Und dann eben: Zwei bestätigte Fälle von Long COVID. 

«Manchmal hatten sich die Patienten sehr umfassend informiert. Für mich als Hausärztin war es sehr herausfordernd, stets auf dem neusten Stand zu sein, soweit es  überhaupt möglich ist», gibt Sabrina Guggacher zu. Sie lernte also auch von den Patientinnen, musste aber Brauchbares von Pseudowissen trennen.

«Das ist eine ganz neue Situation. Ich kann mich nicht auf altes Wissen abstützen.»

«Corona war eine ganz neue Situation», sagt Guggacher. Sonst kann sie sich auf alte Erfahrungen abstützen – in diesem Fall funktionierte das nicht. «Ich musste also umso mehr jeden Fall individuell anschauen, und auch immer wieder sagen: ‹Ich weiss es einfach nicht!›» Sich zuzugestehen, als Hausärztin manche Antworten nicht geben zu können, war ein Lernprozess. Das gilt auch für die Patientenseite: Manchmal ist Sabrina Guggacher mit Erwartungen konfrontiert, die nicht realistisch sind. 

Nie an Long COVID gezweifelt 

Immer wieder berichten Betroffene von Long COVID, dass sie sich von ihren Ärzten nicht ernstgenommen fühlen. Gab es auch manchmal Skepsis bei Sabrina Guggacher? «Nie», sagt sie. Natürlich frage man bei Müdigkeit und Erschöpfung, wie es allgemein so gehe im Leben. «Als Hausärztin muss ich mir schliesslich ein ganzheitliches Bild machen.» Doch bei ihren Fällen konnte sie andere Ursachen wie zum Beispiel eine Depression ausschliessen: «Die stehen mitten im Leben und möchten ja unbedingt wieder arbeiten!» Das sei für die Betroffenen schon belastend genug. «Zweifel gab es auf keinen Fall.»

«Die stehen mitten im Leben und möchten unbedingt wieder arbeiten!» 

Als Hausärztin sieht sie das sowieso als ihre Aufgabe: «Wir müssen die Patienten ernstnehmen in dem Boot, in dem sie gerade sitzen.» Schliesslich sieht sie auch das andere Ende des Spektrums: Patienten, die Corona völlig negieren, mit Verschwörungstheorien kommen und aggressiv werden beim Thema Impfen oder Masken. «Auch diese Patienten muss ich ernstnehmen.» Es gelte, die Offenheit zu behalten und nicht zu schubladisieren.

So versucht Sabrina Guggacher, allen möglichst gerecht zu werden – auch wenn das manchmal nur bedeutet, geduldig für Patientinnen da zu sein, die im Ungewissen sind. «Ich kann oft nicht einfach ein Mittelchen zücken, und alles ist wieder gut.» Das unterscheide Hausärzte von Spezialisten, die ein spezifisches Problem bekämen, das sie dann meist lösen könnten. «Das längerfristige Begleiten ist mein Alltag als Hausärztin. Nicht für alles gibt es immer gleich eine Lösung.» Manchmal sei das alles, was sie tun könne: «Die schwierige Situation miteinander aushalten.» 

Titelbild: Symbolbild Adobe Stock

*Anonymität bei Altea  

«Sabrina Guggacher» ist nicht der richtige Name der hier porträtierten Ärztin, sondern ein Pseudonym. Das Pseudonym dient dem Schutz der Privatsphäre der Ärztin anlässlich eines politisch aufgeladenen Themas. 

Altea veröffentlicht ihre Geschichte, weil wir überzeugt sind, dass auch die Perspektive von Ärztinnen und Ärzten enorm wertvoll ist: Zum einen für andere Hausärzte, zum anderen aber auch für Betroffene und Angehörige.

Anonymität bei Altea
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