Um die relevanten Forschungsfragen im Zusammenhang mit Long COVID zu identifizieren, wurde unter der Schirmherrschaft des Instituts für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich (EBPI) das Long COVID Citizen Science Board (LCCSB) ins Leben gerufen. Dabei handelt es sich um ein beratendes Gremium, in dem vor allem die Betroffenen das Sagen haben. Ziel des Projekts ist es, die Bedürfnisse von Betroffenen systematisch zu erfassen und herauszufinden, in welchen Bereichen aus ihrer Sicht die Forschung ansetzen sollte. Anfang Mai haben sich die Mitglieder erstmals ausgetauscht.
Für neue Lösungsansätze braucht es einen engen Austausch aller Beteiligten.
Mit Hilfe von Altea und der Selbsthilfegruppe Long Covid Schweiz rekrutierte das EBPI die rund 30 Mitglieder des Boards. Das LCCSB besteht aus etwa 20 Long-COVID-Betroffenen und bis zu 10 Personen, die bereits länger an myalgischer Enzephalomyelitis oder chronischem Erschöpfungssyndrom (ME/CFS) leiden.
Zusammenspiel Bevölkerung und Wissenschaft
Sogenannte Citizen Science-Projekte, welche meist durch professionelle Wissenschaftler geführt werden, haben zum Ziel, die Bevölkerung in die Forschung mit einzubeziehen und den Austausch zwischen der breiten Bevölkerung und den Wissenschaftlern zu fördern. Damit soll sichergestellt werden, dass die Ergebnisse von öffentlich geförderten Forschungsprojekten der Gesellschaft zugutekommen und für Betroffene relevant sind.
Mit Einbezug von Betroffenen erhofft sich das Projektteam, dass Erfahrungen, Beschwerden und Herausforderungen von Menschen, die unter Langzeitfolgen einer viralen Infektionserkrankung leiden, besser erfasst werden können. Nur durch einen engen Austausch zwischen Forschenden, Ärzten, Therapeuten und Betroffenen lassen sich neue Lösungsansätze für Long COVID finden.
«Mit dem LCCSB möchten wir die Betroffenen ermächtigen, sich aktiv an der Gestaltung der Forschung zu beteiligen», erklärt Professor Milo Puhan, Direktor des EBPI. «Nur durch einen Austausch auf Augenhöhe können wir als Forschende die komplexen Herausforderungen durch Long COVID richtig erfassen und Antworten auf alle relevanten Fragen erarbeiten.»
Einbezug von chronischer Erschöpfung
Dabei ist der Beitrag der ME/CFS-Leidenden von entscheidender Bedeutung, da es immer klarer zu werden scheint, dass es vielen Gemeinsamkeiten gibt zwischen den beiden Syndromen. Überschneidungen gibt es im Bereich der fehlenden Diagnostik, der Symptomatik (insbesondere Fatigue, Belastungsintoleranz und kognitive Dysfunktion), der bis anhin spärlichen Behandlungsansätze und der Stigmatisierung.
Der Verein ME/CFS Schweiz und die Schweizerische Gesellschaft für ME & CFS setzen sich seit vielen Jahren für die Anerkennung ihrer chronischen neurologische Erkrankung ein. Bis jetzt ist ME/CFS jedoch trotz hoher Krankheitslast für die Betroffenen nur schlecht erforscht.
Auch das chronische Erschöpfungssyndrom ist bisher schlecht erforscht.
Das erste Treffen fand standesgemäss online statt. Nach einer Einführung in das Thema durch Projektleiter Milo Puhan diskutierten die Teilnehmenden in mehreren Kleingruppen darüber, welche Themen für Betroffene wichtig sind und auf welche Fragen sie Antworten suchen. In den angeregten Diskussionen wurde bald klar, dass die Erkrankung auf viele Bereiche im Lebensalltag der Betroffenen einen Einfluss hat.
Viele drängenden Fragen
Natürlich ging es in erster Linie um verschiedene medizinische Fragestellungen in den Bereichen Diagnostik, Behandlung und Impfung. Gleichwohl erhitzten jedoch auch gesellschaftliche, politische und v.a. auch arbeitsrechtliche Themen die Gemüter. Betroffene suchen Antworten bezüglich Krankheitslast, Gesundheitsversorgung, Versicherungsfragen sowie Bewältigung des Familienlebens und Integration in den Arbeitsalltag.
Die nächsten Schritte
In den kommenden Wochen wird das Projektteam des LCCSB mögliche Forschungsfragen ausformulieren und zu einem Katalog zusammenstellen. Dabei ist es den Wissenschaftlern ein grosses Anliegen, dass die Beiträge der Laien nicht durch die Fachleute verfälscht werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass die für die Betroffenen relevantesten Themen identifiziert werden können.
Aus diesem Fragenkatalog werden die Betroffenen die für sie wichtigsten Punkte auswählen und entsprechend gewichten. Ziel ist es, diese Forschungsprioritäten möglichst noch im Juni zu veröffentlichen und Förderungsinstitutionen und Behörden über die Ergebnisse zu informieren.